Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bruderdienst: Roman (German Edition)

Bruderdienst: Roman (German Edition)

Titel: Bruderdienst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
Vom Netzwerk:
besorgt und kam, wann immer er Lust hatte.
    Ich erfuhr das nur zufällig, weil jemand aus meiner Abteilung etwas in einer Siedlung für Generäle zu tun hatte und dabei meinen Bruder traf, wie der gerade in eines der Häuser ging. An der Tür war ein Schild mit seinem Namen. Und es gab eine Ehefrau und drei Kinder. Mein Luxusbruder. Damals hatte er schon den Namen unserer Mutter angenommen, und die Partei hat es genehmigt, weil er so viele Verdienste um unser Volk hatte und weil er angeblich die Familie meiner Mutter ehren wollte … Wir haben doch eine Flasche Wein gekauft. Kann ich davon ein Glas haben?«
    »Aber ja.« Müller ging an den Kühlschrank, um den Weißwein zu holen. Er öffnete die Flasche und goss ein Glas voll. Dann kam er zurück. »Schön, wie ging es weiter?«
    »Ich weiß nicht, ich glaube, ich wurde verrückt.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ich wachte mit meinem Bruder im Kopf auf und ging mit ihm im Kopf schlafen. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Ich war wie von ihm besessen. Und meine Vorgesetzten fanden, ich sei nicht fähig, eine ganze Abteilung zu leiten. Ich durfte diese Lkw verwalten, diese Schrottkisten, die niemand mehr haben wollte und von denen täglich mindestens zehn auseinanderfallen. Gut, dachte ich, dann eben Holzvergaser. Und neben meiner Arbeit begann ich, alles über meinen Bruder zu sammeln, was ich finden konnte. Also das, was in der Tageszeitung stand, in den Parteiblättern, in den Militärmitteilungen und so weiter. Es gab unheimlich viel, und ich konnte nachverfolgen, wie er seine Karriere gemacht hatte. Und immer wieder gab es Leute, die erst seine Vorgesetzten waren und dann ganz plötzlich vor ein Gericht gestellt wurden, weil sie zum Beispiel regelmäßig amerikanische Radiosender gehört oder Fernsehsender aus Seoul eingeschaltet oder heimlich Bücher verbotener westlicher Autoren gelesen hatten. Das Übliche eben. Es beginnt immer mit Gerüchten, und irgendwann müssen diese Menschen gestehen. Sie werden so lange befragt, bis sie gestehen. Sie wurden denunziert, denn sie waren ihm im Weg. Mein Bruder war ein Meister im Denunzieren, er war der große Verräter, er verriet sich nach oben. Er war dann in einer persönlichen Beratergruppe für unseren Staatschef. Da ist er noch heute. Und er ist so mächtig, dass niemand es wagt, die Stimme gegen ihn zu erheben.«
    »Niemand außer dir.«
    Er sah Müller an, seine Augen füllten sich erneut mit Tränen. Er beugte den Oberkörper weit vor, nickte und weinte. »Ich muss jahrelang verrückt gewesen sein, konnte an nichts anderes mehr denken. In meinem Block wohnte eine Bibliothekarin, eine sehr nette Frau. Wir besuchten uns manchmal, obwohl das eigentlich anstößig war. Aber als sie entdeckte, dass ich hasste, richtig hasste, wollte sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Sie sagte, es würde mich zerstören, und das wolle sie nicht mit ansehen. Ich hatte wirklich niemanden mehr. Nichts außer den Hass auf meinen Bruder.«
    »Ich wollte schon immer fragen, woher du so gut Englisch sprichst.«
    »Ich habe es in der Schule gelernt. Englisch und Französisch. Später habe ich sehr viel in Englisch gelesen und mich weitergebildet. Ich hatte ja Zeit, ich hatte unendlich viel Zeit.«
    »Also würdest du sagen, dass dein Bruder an diesem Geschäft mit der Bombe beteiligt sein könnte?«
    »Unbedingt, ja. Er war der Erste, an den ich dachte, als du mir davon erzählt hast. Ich kann die Namen all der Berge aufzählen, in die sie Tunnel gruben, um irgendetwas zu verstecken.«
    »Atomanlagen?«
    »Ja, natürlich. Ich war doch der Jäger meines Bruders. Es ist unglaublich, was man alles erfahren kann, wenn man es nur will.« Dann schnellte sein Kopf unvermittelt hoch, und er grinste. »Charlie, ich war ein verdammt guter Spion.« Mit deutlicher Ironie fuhr er fort: »Ich bin natürlich nicht so gut wie du, aber ich kann dir meinen Bruder liefern.«
    Und Müller folgte seiner Spur und entgegnete leichthin: »Was soll er denn kosten?«
    In diesem Augenblick meldete sich Müllers Handy erneut, und Svenja sagte: »Ich stehe unten vor der Tür.«
    Müller stand auf, um die Tür zu öffnen, dann ging er zurück ins Wohnzimmer und sagte: »Gleich kommt meine Frau, und sie wird bei dir bleiben. Ich muss für eine Stunde weg, bin aber danach gleich wieder hier.«
    Als Svenja die Wohnung betrat und in Kims Gesichtsfeld kam, riss der erstaunt die Augen auf.
    »Ja, sie ist ein Schönheit«, erklärte Müller lapidar in Richtung Kim. Er

Weitere Kostenlose Bücher