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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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das strahlende Sonnenlicht zu denken. Ich sah deutlich das mit Stuckwerk verzierte Strandhaus und die Veranda vor mir, auf der ich blutrote Sonnenuntergänge über dem See beobachten würde. Ich war mir des Selbstbetrugs durchaus bewusst, aber ein Mensch tut alles, um mit sich in Frieden zu leben.

Kapitel 15
     
    Den Oktoberbeginn verbrachte ich mit kalten, klaren Tagen auf dem See und unerträglichen Nächten im Bett. Jeden Morgen und jeden Abend ging ich für eine Stunde auf meinen Bootssteg, um zu fischen. Nachmittags schwamm ich regelmäßig und tauchte unter die trübe blaue Wasseroberfläche in eine Kälte, die den nahenden Winter spüren ließ. Manchmal schwamm ich nackt, um die Freiheit zu spüren, wie ein Kind in einer kalten Gebärmutter, ungeboren, unwissend. War ich tief getaucht und näherte mich wieder der Oberfläche, malte ich mir aus, dass das abscheuliche Wissen, das sich auch in die hintersten Winkel meines Verstandes eingebrannt hatte, verschwände, sobald ich die goldene Luft darüber erreichte. Es ist nur unter Wasser Wirklichkeit, versuchte ich zu denken, wenn ich vom Grund des Sees auftauchte. Die Luft wird mich reinigen.
    Gegen Ende des Nachmittags vertrödelte ich meine Zeit mit einem Jack and Sun Drop auf dem Bootssteg und beobachtete den Schwimmer, der sanft auf der Wasseroberfläche schaukelte.
    Die frühen Oktobertage in North Carolina sind unbeschreiblich, und der Himmel verwandelte sich in ein Azurblau, während die Sonne sich dem Horizont näherte. Ich hielt die Angelrute und wartete darauf, dass der rotweiße Schwimmer unter Wasser tauchen würde, als ich im Gras hinter mir Schritte hörte.
    Ich legte die Angel neben mich, drehte mich zum Ufer um und sah, dass Walter gerade den Steg betrat. Er trug eine Sonnenbrille und einen hellbeigen Anzug, das Jackett lässig über der linken Schulter und die Krawatte gelockert.
    Ich war seit zwei Wochen wieder zu Hause. Obwohl Walter häufig angerufen hatte, hatte ich nur zweimal mit ihm gesprochen und mich bemüht, die Gespräche belanglos zu halten. Jedes Mal hatte ich ziemlich bald wieder aufgelegt, hatte kein einziges Mal meine hastige Abreise im Mai angesprochen und war seinen Fragen ausgewichen. Ich hatte mir nur Einsamkeit und Vergessen gewünscht, aber als ich meinen besten Freund mit finsterem Gesicht über den Steg auf mich zukommen sah, wusste ich, dass ich ihn verletzt hatte.
    Etwa einen Meter von mir entfernt blieb er stehen und legte einen braunen Umschlag auf das von der Sonne gebleichte Holz. Walter schaute auf mich herab, so dass ich mein Spiegelbild im Glas seiner Sonnenbrille sehen konnte. Er setzte sich neben mich auf die Kante des Stegs und unsere Beine baumelten über dem Wasser.
    »Dein Roman verkauft sich gut«, sagte er. »Das freut mich für dich.«
    »Es ist eine Erleichterung.«
    Als ich nach dem Umschlag griff, sagte Walter: »Ich habe ihn nie geöffnet.«
    »Das musst du mir nicht sagen.«
    »Irgendetwas hat angebissen.« Ich griff nach meiner Angel und schwang sie zurück, doch der Schwimmer tauchte ohne Spannung in der Schnur wieder auf. Als ich die Schnur einholte, bewegte sich der Schwimmer nicht.
    »Mist, das war ein großer! Eine Großmaulmakrele.« Ich legte die Angel auf den Steg und nahm mein Glas. »Komm«, sagte ich und stand auf. Obwohl die Luft mild war, war die Stegoberfläche durch die direkte Sonneneinstrahlung tagsüber heiß wie Teer geworden. Meine Fußsohlen brannten auf den Planken. »Lass uns reingehen. Ich hol dir ein Bier.«
    In meiner Badehose rannte ich den Steg bis zum Ufer entlang, sprang ins Gras und wartete. Walter trottete in seinem üblichen Tempo hinterher. Wir gingen nebeneinander den grünen gewundenen Weg durch den Garten entlang, der den Steg mit dem Haus verband. Ich hatte das Gras zwei Wochen lang nicht gemäht, daher reichte es als weicher, dichter Teppich bis über meine Knöchel.
    Als wir die Stufen zur Veranda hochgingen, warf ich einen Blick auf den Wald zu meiner Rechten. Ich dachte an die dort vergrabene Leiche, die mein Leben so durcheinander gebracht hatte. Einen kurzen Moment erwachte in mir wieder die Erinnerung daran, wie ich sie gefunden hatte – der Geruch, die Angst, der überraschende Anblick.
    Im Haus holte ich Walter eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und führte ihn ins Wohnzimmer. Da ich mich längst nicht so betrunken fühlte, wie ich es gerne gewesen wäre, mixte ich mir einen weiteren Jack and Sun Drop, während sich Walter auf dem Sofa

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