Bruderherz
hatte. »Sieh mal, ich habe versucht, mit dir über das, was passiert ist, zu reden, aber du wehrst es immer ab, als ob…«
»Cynthia…«
»Andy, wenn ich mir das hier von der Seele geredet habe, können wir das Thema begraben.« Als ich nichts erwiderte, fuhr sie fort: »Du weißt, was mich bedrückt hat, als du dich einfach in den Südpazifik abgesetzt hast?«
»Ja«, sagte ich und strich mit Daumen und Zeigefinger am Stiel meines Glases entlang.
»Wenn du einfach abhaust, ohne mir Bescheid zu sagen, während du gerade an einem Buch schreibst, ist mir das egal. Ich bin nicht deine Mutter. Aber du warst weg, als dein Buch rauskam. Ich muss dir nicht sagen, wie wichtig es ist, dass du in der ersten Woche nach Erscheinen eines Buches präsent bist. Du bist ein Autor zum Anfassen, Andy. Die Interviews und Lesungen sind es, die für die Werbung sorgen. Die ersten Verkaufszahlen lagen unter denen von ›Dunkler Mörder‹. Eine Weile sah es so aus, als würde das Buch ein Flop.«
»Cynthia, ich…«
»Alles, was ich sagen will, ist, mach so einen Scheiß nie wieder. Abgesehen von deinen Signierstunden in den Buchhandlungen, die dein Verleger abgesagt hat, musste ich jede Menge Presseleute anrufen und ihnen sagen, warum du nicht gekommen bist. Und ich hatte nicht die leiseste Ahnung. Bring mich nie wieder in eine derartige Situation.« Der Kellner kam auf uns zu, aber Cynthia schickte ihn mit einer Handbewegung weg. »Großer Gott, Andy, du hast mich nicht einmal angerufen, um mir zu sagen, dass du abreisen würdest«, flüsterte sie in grimmigem Ton, mit zusammengezogenen Augenbrauen und einer energischen Bewegung ihrer Arme. »Es kann doch nicht so schwer sein, den verdammten Telefonhörer in die Hand zu nehmen.«
Ich beugte mich vor und sagte ruhig: »Ich war ausgebrannt. Ich brauchte eine Pause und hatte keine Lust, vorher anzurufen und um Erlaubnis zu bitten. Das waren damals meine Beweggründe, es war falsch und es tut mir Leid. Es wird nicht wieder vorkommen.« Sie trank einen großen Schluck Wein. Ich trank mein Glas aus und spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg. Ich streckte den Arm aus und ergriff ihre Hand. Sie sah mich schmachtend an.
»Cynthia. Es tut mir Leid, okay? Wirst du mir verzeihen?«
»Du bringst besser auch die Sache mit deinem Verleger in Ordnung.«
»Wirst du mir verzeihen?«
Ein zaghaftes Lächeln spielte um ihre Lippen. »Ja, Andy.«
»Gut, dann lass uns jetzt etwas zu essen bestellen.«
Cynthia hatte geschmorte Lammhachsen mit roter Pfeffersauce bestellt, und als der Kellner den Teller vor ihr abstellte, leuchteten ihre Augen. Ich beobachtete mit Vergnügen, wie mir mein Hauptgericht – Mostaccioli, sonnengetrocknete Tomaten, Kapern und mit Lorbeer angebratene Jakobsmuscheln – serviert wurde. Unter dem Bett aus Pasta köchelte eine rosafarbene Wodkasauce. Bevor der Kellner unseren Tisch wieder verließ, entkorkte er noch eine zweite Flasche Bordeaux und füllte erneut unsere Gläser.
Die Jakobsmuscheln hatten den Geschmack der süßen Tomaten angenommen. Eine zerging gerade auf meiner Zunge, als ein Sandkorn zwischen meinen Backenzähnen knirschte. Ich trank einen Schluck Wein – ein Hauch von Pflaumen, Fleisch und Tabak. Er rann wie Seide meine Kehle hinab. Ich wollte so lange wie möglich in diesem perfekten Gleichgewicht aus Hunger und Sättigung verweilen.
Je weiter der Abend voranschritt, desto mehr beschäftigte mich die Stadt. Es war schon eine verdammt angenehme Art, den Abend mit einem außergewöhnlichen Wein in einem der feineren New Yorker Restaurants zu verbringen und dabei das Meer von Lichtern zu beobachten, das von den Wolkenkratzern und der Stadt zu mir heraufschien. Inmitten dieses ständigen Funkeins wusste ich, dass ich von Millionen Menschen umgeben war, und dadurch wirkte diese Stadt wie ein Schutzschild gegen die einsame Angst, die mich bedrohte.
»Andrew?«, kicherte Cynthia mit gespieltem englischen Akzent. »Zu viel Wein getrunken?«
Als ich meinen Blick langsam vom Fenster wieder zu Cynthia wandte, schien das Restaurant zu schwanken. Ich wurde langsam betrunken. »Eine wunderschöne Stadt«, sagte ich leidenschaftlich.
»Du solltest dir hier eine Wohnung suchen.«
»O Gott, nein!«
»Willst du damit andeuten, dass es ein Problem mit meiner Stadt gibt?«
»Das muss ich nicht andeuten. Das kann ich dir auch frei heraus sagen. Ihr Yankees habt es immer so verdammt eilig.«
»Und das ist in deinen Augen ein schlechteres Leben als
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