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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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Kamin hing ein monochromatischer Druck von Odilon Redon mit dem Titel: »Antonius: Was ist das Thema all dessen? Der Teufel: Es gibt kein Thema.« Zufällig erinnerte das Thema dieser schwarzen Lithografie auf unangenehme Weise an den Mann, der mich in der Straße meiner Mutter wegen der Widmung angehalten hatte. Luther. In der hinteren linken Ecke stand ein alter Steinway-Flügel, und vor dem künstlichen, mit Gas betriebenen Kamin lag ein Perserteppich, der von einem Futonsofa und zwei burgunderroten Ledersesseln eingerahmt wurde. Zu meiner Rechten führte eine Treppe nach oben und gegenüber konnte ich die Haustür sehen.
    Als ich das Wohnzimmer durchschritt, hallten meine Schritte auf dem Holzparkett. Auf der linken Seite neben dem Steinway ging eine weitere Tür ab. Als ich über die Schwelle trat, stand ich in einem Raum voller Bücher – Orsons Bibliothek.
    Es roch gut nach altem Papier und Zigarren in seinem Arbeitszimmer. Die Mitte des Raums wurde von einem gewaltigen Schreibtisch beherrscht, der mit dem in meinem Arbeitszimmer identisch war. Sogar der Drehstuhl war der gleiche. Ich durchsuchte die Schubladen, jedoch ohne Erfolg. Alle Briefe waren an Dr. David Parker adressiert und die meisten Aktenordner enthielten Forschungsberichte über das alte Rom. Auf dem Schreibtisch standen nicht einmal Fotos – nur ein Computer, ein Humidor aus Zedernholz, gefüllt mit Macanudo-Zigarren, und eine Karaffe mit Cognac.
    Die Wände waren mit Büchern zugestellt – dieselbe intellektuelle Auswahl wie in seinem Büro: »Die Agrargesellschaft Roms im 3. Jh. n. Chr.«; »Gerichtshoheit und imperialistische Macht im Altertum«; »Ausländische Beziehungen: Rom, Karthago und die Punischen Kriege«.
    Das leichte Brummen eines Automotors ließ mich ans Fenster treten. Mit zwei Fingern zog ich die Jalousien etwas auseinander und beobachtete, wie ein weißer Lexus Sedan in Orsons Auffahrt einbog. Ich wartete. In mir krampfte sich alles zusammen. Wenn Orson durch die Hintertür hereinkam, würde er die zerbrochene Glasscheibe sehen.
    Er tauchte plötzlich auf, ging in einem olivgrünen Anzug mit einer Aktentasche in der Hand zügig den Weg hinauf. Ich trat vom Fenster zurück, sank auf die Knie und kroch unter seinen Schreibtisch.
    Ein Schlüssel drehte sich im Schloss und die Eingangstür öffnete sich. Orson betrat pfeifend sein Haus. Ich kroch so weit es ging in die Dunkelheit unter seinem Schreibtisch. An seinen Schritten konnte ich hören, dass er vom Wohnzimmer in die Bibliothek kam. Ein ohrenbetäubender Schlag ließ den Schreibtisch erzittern und mein Herz noch schneller rasen. Er hatte seine Aktentasche auf die Schreibtischoberfläche fallen lassen. Als seine Schritte den Schreibtisch in Richtung Stuhl umrundeten, entsicherte ich die Pistole.
    Irgendwo im Haus klingelte ein Telefon. Er hielt inne. Ich konnte jetzt seine Beine sehen, seine schwarzen, spitzen Schuhspitzen. Ich roch ihn – sauber, nach Rasierwasser duftend, vertraut. Unser Körpergeruch nach einem langen Arbeitstag war der gleiche. Das Telefon klingelte erneut, er eilte hinaus und murmelte dabei etwas Unverständliches.
    »Hallo?«, antwortete er nach dem dritten Klingeln in der Küche. »Hallo, Arlene… Ja, natürlich… Nun, warum kommst du dann nicht her? Wir hauen uns etwas in die Pfanne… Nein, das brauchst du nicht. Und komm einfach her… In Ordnung. Klingt gut. Bis dann.«
    Er legte auf und ging zurück ins Wohnzimmer. Einen kurzen Moment dachte ich, er würde in die Bibliothek zurückkehren, und hob die Waffe. Doch seine Schritte verhallten, als er die Treppe hinaufrannte.
    Zitternd kroch ich unter dem Schreibtisch hervor. Als ich oben die Dusche hörte, kauerte ich mich hin, nahm das Walkie-Talkie aus der Gürteltasche und drückte die Sprechtaste.
    »Wilma«, flüsterte ich. »Wilma? Over?«
    »Over.« Walters Stimme wurde von lautem Knistern begleitet. Ich stellte die Lautstärke leiser. »Du bist Wilma. Ich bin Fred«, sagte er.
    »Er ist hier«, flüsterte ich. »Nimmt oben eine Dusche.«
    »Hast du was gefunden?«
    »Kann jetzt nicht reden. Los, Papa.«
    »Was?«
    »Komm hier rauf und warte auf die nächste Anweisung.«
    Ich schaltete das Walkie-Talkie aus und ging ins Wohnzimmer. Der Teppichboden auf der Treppe dämpfte meine Schritte, als ich hinauf in den ersten Stock ging. Ich stand in der Mitte eines düsteren Flurs, an dessen beiden Enden sich je ein Schlafzimmer befand. Genau gegenüber sah ich unter einer geschlossenen Tür

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