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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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heraus. Als Anästhetikum bei chirurgischen Eingriffen intravenös gespritzt, wirkt es bereits nach neunzig Sekunden. Unglücklicherweise konnte es auch Atemlähmungen verursachen, deshalb hatte ich auch eine Ampulle des Gegengiftes Flumazenil gestohlen. Zusätzlich zu meinem Diebstahl hatte ich mich intensiv mit der Verabreichung intravenöser und intramuskulärer Spritzen beschäftigt. Ich kannte die Indikation und Anwendungsbereiche für Ativan und Valium. Ich hatte meine Hausaufgaben gemacht, besaß zuverlässige Waffen und einen gut durchdachten Plan. Als Walter und ich in den beiden gegenüberstehenden Sesseln saßen und die messingummantelten Patronen in die Magazine schoben, wurde ich plötzlich ganz ruhig. Wir machen es tatsächlich, dachte ich. Wer macht schon so etwas? Ganz schön aufregend. Eigentlich Stoff für einen tollen Roman.
     
    Während sich Walter kurz aufs Ohr legte, ging ich nach unten. Dreckige Teller und leere Weinflaschen stapelten sich auf dem Esstisch – die Überbleibsel vom Mittagessen. Ich ging nach hinten in die Küche und bat den Koch, mir ein Truthahnsandwich zu machen. Er hatte keine Lust dazu. Die Mittagszeit sei bereits vorbei. Doch schließlich willigte er doch ein und meinte, ich könne am Kamin darauf warten.
    Ich setzte mich in einen Schaukelstuhl. In der steinernen Feuerstelle des Kamins brannte das Feuer langsam aus. Ich stellte mir vor, wie man es bereits in den frühen Morgenstunden angefacht hatte, noch bevor der frische Schnee geschmolzen war und die anderen Gäste ihren Tag geplant hatten. Wenn auch inzwischen eher halbherzig, so wärmte es doch immer noch die gemütliche Sitzecke. Während ich wartete, starrte ich auf das letzte verbliebene Holzscheit. Es glühte von unten und diese Glut fraß es langsam, aber sicher auf und verwandelte das Holz in Asche und Rauch.
    Ein Paar kam auf dem Weg zur Haustür an mir vorbei und schaute neugierig auf meine Kleidung. Ein grauer Arbeitsoverall war in diesem gediegenen Gasthof ein eher ungewöhnlicher Anblick.
     
    Die Jennings Road ging links von der Hauptstraße ab, eine Meile jenseits der Universität. Blattloser Zuckerahorn und Birken verdeckten auf der den Hügel ansteigenden Straße den Blick auf den Himmel. Auf beiden Straßenseiten lagen riesige Blätterhaufen. Ich stellte mir vor, wie die Bäume mit dem leuchtend bunten Laub, das jetzt auf der Straße und in den Vorgärten lag, dieses Anwohnergebiet New Englands in ein eigenes mystisches Reich verwandelt hatten.
    Kurz vor der Hügelkuppe sah ich auf einem schwarzen Briefkasten in weißen Ziffern die Nummer 617. Walter fuhr langsamer, doch ich wies ihn an, ganz normal daran vorbeizufahren und erst weiter oben an der Straße anzuhalten. Während wir weiterfuhren, starrte ich auf Orsons Haus, noch ungläubig, es tatsächlich gefunden zu haben. Von außen wirkte es elegant und bescheiden. Ein weißes, zweigeschossiges Gebäude mit vorstehenden Dachfenstern im ersten Stock und großen Erkerfenstern im Erdgeschoss. Den Vorgarten umgab ein Gitterzaun, und entlang der gepflasterten Auffahrt, die vom Bürgersteig in einer Kurve bis zur vorderen Veranda führte, wuchsen Blumen. Das Haus verfügte über keine Garage und zurzeit standen auch keine Autos in der Auffahrt.
    Jenseits der Hügelkuppe parkte Walter den Wagen am Bordstein, wobei er einen Laubhaufen aufwirbelte. Er schaltete den Motor ab und schaute mich zaghaft an, während ich die beiden Walkie-Talkies unter meinem Sitz hervorholte.
    »Kanal acht, Nebenkanal siebzehn«, sagte ich und reichte Walter eines der Geräte. Wir stimmten unsere Frequenzen aufeinander ab. »Bevor wir in die Jennings Road abgebogen sind, sind wir an einem Diner vorbeigekommen. Warte da auf mich. Dieser Wagen wirkt hier verdächtig, vor allem wegen des Nummernschilds eines anderen Bundesstaates. Ich werde dich in dem Diner anfunken. Ich werde ›Los, Papa‹ sagen. Das heißt, er ist zu Hause, also komm her und fahr hier in der Gegend herum. Beim zweiten Mal werde ich sagen: ›Bring es nach Hause.‹ Und das heißt, komm zur Nummer 617 und fahr rückwärts die Auffahrt hoch. Ich möchte, dass du mir den Kofferraum öffnest und wieder einsteigst. Wenn du wieder im Auto sitzt und der Kofferraum offen ist, dann bringe ich ihn raus. Er wird bewusstlos sein, ich werfe ihn in den Kofferraum und du fährst uns zum Loch an der 116. Irgendwelche Fragen?«
    »Nein.«
    »Funk mich nicht an, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Und nenn mich Wilma.

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