Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
Vom Netzwerk:
Licht durchscheinen, so dass ich dahinter das Badezimmer vermutete. Orsons Schuhe, seine braun und dunkelblau getupften Socken, sein schwarzer Gürtel und sein olivgrüner Anzug bildeten eine Spur bis zu dieser Tür.
    Er sang unter der Dusche: »All you need is love! Loooove! Love is all you need!«
    Ich ging einen Schritt auf das Badezimmer zu. Öffne die Tür, schleich dich hinein und jag die Spritze durch den Duschvorhang rein…
    Plötzlich klingelte es an der Tür. Ich blieb wie erstarrt im Flur stehen und überlegte, ob er die Klingel wohl auch gehört hatte. Nach fünf Sekunden wurde die Dusche ausgestellt und ich hörte das dumpfe Auftreten nasser Füße auf Fliesen und wie ein Handtuch kräftig über die Haut gerubbelt wurde. Ich rannte nach rechts den Flur entlang bis zu einem Zimmer, das wohl sein Schlafzimmer war, da dort überall Kleidungsstücke herumlagen. Zu meiner Rechten konnte man von einem Dachfenster aus auf die Jennings Road und die weit dahinter liegenden verschneiten Berge blicken. In einem Alkoven stapelten sich Rissen, und ich dachte unwillkürlich, dass Orson in dieser gemütlichen Ecke vermutlich viele Stunden mit Lesen verbrachte.
    Links von mir befand sich ein geräumiger, begehbarer Kleiderschrank, und als die Badezimmertür geöffnet wurde, huschte ich hastig dort hinein. Es klingelte erneut, und Orson rief: »Ich hab dir doch gesagt, du kannst einfach reinkommen!« Dabei eilte er die Treppe hinunter.
    Ich konnte nicht verstehen, was er beim Öffnen der Tür sagte. Ich tastete mich zwischen Kleiderbügeln mit nach Mottenpapier stinkenden Anzügen und dicken Pullovern vorbei und versteckte mich schließlich in der hintersten Ecke des unbeleuchteten Schrankes.
    Kurz darauf kam Orson die Stufen wieder herauf und bis ins Schlafzimmer, so dass ich ihn sogar kurz durch die Kleiderbügel hindurch sehen konnte. Er war noch nackt und stieg in Boxershorts und Jeans, die noch so zusammen auf dem Boden gelegen hatten, wie er sie offensichtlich ausgezogen hatte. Mit nacktem Oberkörper stellte er sich in voller Länge vor einen großen Spiegel und kämmte seine nassen Haare, die seit dem Bürstenhaarschnitt der Wüste kräftig nachgewachsen waren. Er grinste sein Spiegelbild an, bleckte die Zähne und formte tonlos Worte, die ich nicht verstand. Zum ersten Mal hatte ich einen guten Blick auf meinen Bruder und ich sog ihn in mich auf.
    Seine Erscheinung wirkte zivilisierter und attraktiver als in der Wüste und seine körperliche Verfassung war immer noch bewundernswert gut. Er strahlte Charisma aus und seine Augen funkelten.
    »Schenk dir schon mal ein Glas Wein ein!«, rief er. »Im Weinregal steht ein Pinot Noir!«
    Orson öffnete eine Schublade der Kommode, durchsuchte sie einen Moment und holte schließlich einen grauen Teppichschneider hervor. Er schob die Klinge heraus, die den Griff um zweieinhalb Zentimeter überragte. Er fuhr mit dem Daumen ihre Kante entlang und lächelte erneut sein Spiegelbild an.
    »Du wirst dich benehmen«, sagte er kichernd. »Heute Abend wirst du dich anständig benehmen.«
    »Dave?«
    Orson fuhr herum. »Arlene! Hast du mich erschreckt!«
    Ihre Stimme kam vom oberen Treppenabsatz. »Wo ist das Weinregal?«
    »Küchenanrichte.« Er hielt den Teppichschneider hinter seinem Rücken. Aus meinem Winkel sah ich im Spiegel, wie er damit herumspielte und die Klinge rein- und rausschob. »Oh, Arlene! Und leg bitte etwas Musik auf. Miles Davis, wenn du nichts dagegen hast.«
    Er schob die Klinge wieder ganz in den Griff, steckte den Teppichschneider in eine seiner Hosentaschen und alberte weiter vor dem Spiegel herum.
     
    Durch das Dachfenster konnte ich sehen, wie die letzten Sonnenstrahlen hinter den Bergen verschwanden. Es schien verführerisch, mich die ganze Nacht im Kleiderschrank hinter Kleiderbügeln voller alter, müffelnder Sachen zu verstecken, doch ich widerstand dieser Anwandlung, tastete mich durch seine Garderobe und stolperte schließlich aus dem Schrank.
    Ihre Stimmen schallten die Treppe hinauf. Ich hörte meinen Bruder lachen und das Klappern des Bestecks auf dem Porzellan. Es hatte eine Stunde gedauert, bis ich die Kraft gefunden hatte, den Kleiderschrank zu verlassen. Gott sei Dank essen sie immer noch. Plötzlich fiel es mir ein – die zerbrochene Scheibe! Bitte, geh nicht in den Wintergarten!
    Da ich das Zimmer vorerst für mich hatte, nutzte ich die Gelegenheit, den Schrank, die Bücherregale und die Kommode nach den Bildern und Videobändern von

Weitere Kostenlose Bücher