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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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und drückte den Einschaltknopf. Zu meiner Überraschung sprang der Radiator bereits beim ersten Mal an. Wärme durchflutete die ausgekühlte Hütte, und als die ersten Schwaden warmer Luft mein Gesicht trafen, begann ich die Pullover und Sweatshirts auszuziehen, die mir auf der Wanderung vom Auto bis zur Hütte das Leben gerettet hatten.
    Ich ließ die Kleidungsstücke zu Boden fallen, sank auf das Sofa nieder, öffnete die Schnürsenkel und zog die eisverkrusteten Stiefel von meinen Füßen. Dann streifte ich die nassen Socken ab und zog Hose, Jogginghose und schließlich die nasse lange Unterhose aus, die an meinen Beinen klebte. Die Haut unterhalb meiner Knie war wachsweiß. Ich berührte meine bleichen Waden, die sich zwar hart und kalt wie die einer Leiche anfühlten, doch das Gewebe darunter war immer noch geschmeidig. Meine Füße sahen viel schlimmer aus. Meine Zehenspitzen waren blau verfärbt, und als ich mir in die Fußsohlen kniff, spürte ich weder den Schmerz noch den Druck.
    Ich schaute erneut aus dem Fenster, und da sich in der Wüste immer noch nichts regte, ging ich in die Küche. Auf der Anrichte stand eine große, silberne Schüssel, in der sich noch Reste von dunklem Mehl befanden. Ich trug sie auf die vordere Veranda und füllte sie mit Schnee. Der Ölradiator hatte direkt über den orange glühenden Heizspiralen eine flache Metallabdeckung. Ich stellte die Schüssel mit dem Schnee darauf, legte mich auf das Sofa und sah zu, wie der Schnee schmolz.
    Während der Schneehaufen in der Schüssel kleiner wurde, versuchte ich vergeblich, das schreckliche Gefühl abzuschütteln, das sich meiner bemächtigt hatte, seit ich die Hütte betreten hatte. Ich fühlte mich, als sei ich zu meiner eigenen Totenwache gekommen, stünde vor meinem Sarg und würde auf mein lebloses Gesicht herabschauen, das unter der falschen warmen Hautfarbe erst recht unnatürlich wirkte. Kein Geräusch, kein Wind, keine Bewegung in den hinteren Schlafzimmern – meine Hände zitterten.
    Ich sollte nicht hier sein. Das alles ist nicht richtig.
    Der Schnee war schon einige Zeit geschmolzen, bis sich Dampfschwaden von der Wasseroberfläche lösten. Ich streckte den Arm aus und tauchte einen Finger in die Schüssel. Das Wasser war warm, daher fasste ich die Schüssel mit meinen Socken an, um sie auf den Boden zu stellen. Vorsichtig stellte ich meine blauen Füße in die Schüssel, spürte allerdings weder die Temperatur noch das Wasser an sich. Ich lehnte mich wieder auf dem Sofa zurück und schloss die Augen, während meine Beine langsam zum Leben erwachten und zwischen Knöcheln und Knien zu prickeln begannen.
    Fünf Minuten später spürte ich meine Zehen immer noch nicht. Ich streckte meinen Arm aus, tauchte meine Hand ins Wasser und stellte fest, dass es durch meine Füße schneller abgekühlt war als durch zwei Eisquader. Ich stellte die Schüssel zurück auf den Radiator, und als sich das Wasser erneut erwärmt hatte, tauchte ich meine Füße wieder hinein.
    Es bedurfte zwei weiterer Durchgänge, bis ich spüren konnte, wie etwas in meinen Zehenknochen erwachte – ein schmerzhaftes Brennen setzte ein. Ich versuchte mich zu entspannen und an mein Seehaus im Frühling zu denken – wie ich auf der hinteren Veranda unter den Kiefern saß, mit Blick auf den grünen Wald und dem Gefühl des vom See kommenden Windes auf meiner Haut.
    Das lauwarme Wasser brannte wie Säure und ich biss die Zähne zusammen. Schweiß rann mir in die empfindlichen Augen, denn meine Füße schmerzten, als hielte ich sie ins Feuer. Ich wimmerte vor Schmerzen, und obwohl der Impuls, die Füße aus dem Wasser zu ziehen, immer heftiger wurde, wusste ich, dass das Brennen dadurch nicht nachlassen würde. Das war der Preis dafür, dass ich mit wasserdurchlässigen Stiefeln stundenlang durch den Schnee gewandert war. Ich konnte nichts tun, als auf dem Sofa zu sitzen und die vermutlich schlimmsten Schmerzen meines bisherigen Lebens über mich ergehen zu lassen.
     
    Gegen achtzehn Uhr wurde der Schmerz langsam erträglich, obwohl ich meine Umgebung immer noch wie durch eine rote Brille sah. Es war inzwischen sinnlos, weiter durchs Fenster nach Orson Ausschau zu halten. Die Sonne war untergegangen, die Wüste war schwärzer als der Zwischenraum zwischen den Sternen.
    Ich zog meine Füße aus dem kalten Wasser und stand wackelig auf, froh, wenigstens wieder etwas Gefühl in den Knöcheln zu haben. Meine Zehenspitzen verfärbten sich langsam schwarz, aber es gab

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