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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Gesicht. Ihre Augen waren gerötet. »Ich habe Pablo gebeten zu gehen. Danach habe ich ihn nie wieder gesehen.«
    Clara schwieg. Ihr Blick wanderte von der Frau im Rollstuhl zu den Bildern an der Wand. Überall waren Katzen abgebildet, entweder am Rand eines Bildes, auf einem Baum oder ein Kopf, der um eine Ecke lugte, meistens jedoch als Hauptmotiv: Rote, braune, grüne, bunte Katzen, alle mit schrägen, goldenen Augen.
    »Danke, dass Sie mir das alles erzählt haben«, sagte sie und reichte der Frau das Bild zurück.
    Doch die schüttelte den Kopf. »Behalten Sie es. Oder geben Sie es Ruth, wenn sie wieder auftaucht. Ich mag mich nicht mehr daran erinnern.«
    »Danke.« Clara steckte das Foto in ihre Tasche und stand auf. »Könnten Sie mir noch den Nachnamen sagen?
    »Welchen Nachnamen?« Lieselotte Winter runzelte die Stirn.
    »Pablos Nachnamen. Und vielleicht seine alte Adresse?«, fügte Clara hoffnungsvoll hinzu.
    »Ach Gott! Das war doch gar nicht sein richtiger Name. Alle nannten ihn nur so. Ich weiß gar nicht mehr, warum. Vielleicht wegen Picasso?« Sie schüttelte den Kopf. »Er hieß ganz anders, irgend so was Biblisches, glaube ich. Jonas oder Jesaja oder so. Passte gut zu Ruth, der Name, meine ich. Die beiden passten überhaupt gut zusammen. Aber den Nachnamen? Keine Ahnung. Das ist schon so lange her. Und ich glaube, seinen Nachnamen habe ich gar nicht gekannt.«
    Claras Hoffnung schwand. »Aber wenn er ein erfolgreicher Maler geworden ist …«, begann sie noch einmal.
    »Maler? Wie kommen Sie denn darauf, dass er Maler wurde?«, fragte Lieselotte Winter erstaunt.
    »Aber Sie sagten doch, er habe ein Stipendium bekommen mit Ruth zusammen und sei in eine Meisterklasse nach Rom …«, gab Clara verwirrt zurück. Sie musste langsam an die frische Luft.
    »Aber nein! Pablo war doch kein Maler! Er war Bildhauer. Hatte ich das nicht gesagt?«
    »Bildhauer!« In Claras Kopf begann etwas in Bewegung zu geraten. »Er war Bildhauer …«, wiederholte sie nachdenklich. Kleine Puzzleteilchen verschoben sich, klickten aneinander, fanden ihren Platz, und plötzlich ergab sich so etwas wie ein neues Bild. Clara konnte noch nicht klar erkennen, was es darstellte, hatte aber das Gefühl, sie stehe kurz davor, den Schleier zu lüften. Doch so sehr sie sich anstrengte, das Bild blieb unscharf, verschwommen.
    Sie reichte Lieselotte Winter die Hand und stellte mit einem Anflug von Bedauern fest, dass sie die Frau im Rollstuhl sehr gerne wiedergesehen hätte. Lieselotte Winter erwiderte ihr Lächeln, und Clara fand nichts Strenges mehr darin.
    »Wenn Sie in der Sache Hilfe brauchen, also wenn, ich kann …« Sie sah auf ihre leblosen Beine hinunter und zuckte mit den Achseln. »Na, jedenfalls können Sie sich jederzeit wieder bei mir melden. Und vielleicht …« Sie stockte und verstummte.
    Clara nickte. »Wenn ich Ruth gefunden habe, werde ich sie von Ihnen grüßen.«
     
    Auf dem Rückweg zur Kanzlei klammerte sich Clara an diese vage Ahnung, die sie bei Lio Winter so plötzlich gepackt hatte, ohne der Lösung jedoch einen Schritt näherzukommen. Pablo war Bildhauer. Warum nur war ihr dies so bedeutsam erschienen? Es war wichtig, sie spürte es noch immer, doch sie konnte nicht sagen, weshalb. Wohin gehörte diese Information, zu welchem Teil des Rätsels?
    Clara seufzte und versuchte, die andere Stimme in ihr zu verdrängen, die beharrlich flüsterte, seit sie dieses Wort aus Lieselottes Mund gehört hatte: Ausgerastet . Ruth ist ausgerastet. Sie hat sich gefangen gefühlt, und dann ist sie ausgerastet. Hatte sie sich nicht auch im Polizeipräsidium gefangen gefühlt und war ausgerastet? War sie gegenüber Johannes Imhofen auch ausgerastet ? Alles deutet auf Ruth, flüsterte die Stimme. Alles, wirklich alles. Du kannst das nicht ignorieren.
    Clara schüttelte den Kopf, um die Stimme zu vertreiben und zog das Bild aus der Manteltasche. Eine lachende, hübsche Ruth, braun gebrannt, mit dunklen langen Haaren und leuchtenden Augen. Daneben Pablo, auf den dieser Spitzname nicht recht passen wollte, der eher nordisch wirkte mit seinem roten Bart, dem kräftigen Kinn und den hellen Augen. »Wer bist du nur, Pablo?«, murmelte sie und strich über das etwas gelbstichige Foto. Sie wünschte, sie könnte es Ruth zeigen, jetzt sofort. Doch dazu musste sie sie erst finden. Und dazu musste sie wiederum erst herausfinden, wer Pablo war. Beides gehörte zusammen. Dessen war sie sich jetzt sicher.
     
    In der Kanzlei lag die Zeitung

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