Brudermord
Clara wurde ganz schlecht bei dem Gedanken, diese Hiobsbotschaft Willi mitzuteilen.
»Wollten sie denn nicht einmal mit mir sprechen?«, fragte Clara leise. »Ich hätte es ihnen doch erklären können.«
»Also, die Eheleute Kravic …«, begann Linda wieder, wurde aber von Clara rüde unterbrochen.
»Bleiben Sie mir doch mit denen vom Leib. Denen weine ich keine Träne nach. Die hatten schon mindestens fünf Anwälte, bevor wir das Vergnügen hatten. Ich meine die beiden anderen.«
»Also, Herr Beierle hat ein Fax geschickt …« Linda zögerte, doch als sie Claras Gesicht sah, ging sie hinauf und reichte ihr das Blatt.
Clara überflog es, las etwas von »Bedauern« und »im Interesse der Firma« und »persönlicher Enttäuschung« und gab Linda das Blatt zurück. Weniger der Inhalt als die Tatsache, dass Herr Beierle, ein Mann vom ganz alten Schlag, der nichts so sehr verabscheute wie elektronische Kommunikation, ein Fax geschickt hatte, anstatt persönlich mit ihr sprechen, verletzte Clara zutiefst.
»Rechnen Sie bitte ab, und schicken Sie ihm alle Unterlagen«, sagte sie mit versteinertem Gesicht und wandte den Blick zum Fenster hinaus. »Und die Concept? Auch ein Fax?«
»Nein, die haben angerufen. Sie haben mit Willi gesprochen.« Linda blieb unschlüssig stehen.
»Na, wunderbar!« Clara unterdrückte ein Stöhnen. Das würde eine spaßige Unterhaltung mit ihrem Kompagnon geben. »Na gut, dann rücken Sie den Rest auch noch raus: Was haben die Kravics gesagt? Wollen sie mich verklagen?«
»Nein, das nicht, aber sie wollen die letzte Rechnung nicht bezahlen. Es sind € 197,50. Sie waren übrigens persönlich da und haben ihren Ast abgeholt.«
Clara lachte bitter. Es hatte sie fast zwei Monate Arbeit gekostet, bevor sie diese Rechnung schreiben konnte. »Schicken Sie ihnen einen Mahnbescheid, pfänden Sie ihr Konto, ihr Haus, was weiß ich …« Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Dumpf klang es zwischen den Fingern hervor, als sie weiterredete: »Ach was. Werfen Sie die Akte in den Müll.«
Linda wartete noch einen Augenblick, doch als keine weiteren Anweisungen kamen, ging sie mit leisen Schritten zurück zu ihrem Platz. Ihre sonst so makellose Stirn in tiefe Sorgenfalten gelegt, warf sie ab und zu einen Blick hinauf, wo Clara noch immer reglos saß, das Gesicht in ihren Händen vergraben.
Elise war von ihrem Platz aufgestanden und hockte jetzt neben ihr. Sie lies ein leises, tröstliches Winseln ertönen.
Nach einer Weile hob Clara den Kopf, sah in die blutunterlaufenen Augen ihres Hundes und schlang die Arme um seinen Hals. Dann stand sie auf, packte alle Akten von Ruth Imhofen in ihre Tasche, dazu die Fundstücke aus dem Koffer und ging nach unten.
»Sie können der Rechtsanwaltskammer schriftlich und in dreifacher Ausfertigung mitteilen, dass ich nicht bereit bin, mich in irgendeiner Weise zu der Sache zu äußern, bevor ich nicht verurteilt bin. Da können sie noch so viele Anhörungen anberaumen. Ich werde nicht erscheinen. Das Gleiche können Sie der Polizei sagen: Ich werde mich zu den Vorwürfen nicht äußern. Und sagen Sie Willi bitte, ich bin bei Rita.«
Sie nickte Linda zu, wollte aus Höflichkeit lächeln, doch es gelang kein bisschen, und so ging sie grußlos, und die Tür fiel heftig hinter ihr ins Schloss.
Linda wartete einen Augenblick, sah Clara nach, wie sie mit offenem Mantel und heftig gesträubten Haaren über die Straße auf Ritas Café zumarschierte, und atmete dann geräuschvoll aus.
Es lief nicht gut. Clara hatte sich eigentlich entschuldigen wollen, irgendwie, obwohl sie nicht genau wusste, wofür, doch sie fühlte sich verantwortlich für den Verlust des Mandates, das, wie sie wusste, Willi nicht nur sehr am Herzen gelegen hatte, sondern auch der schmalen Kanzleikasse durchaus gutgetan hätte. Ihre Entschuldigung fiel auch genauso aus: Irgendwie bemüht, etwas wiedergutzumachen, ohne jedoch einzusehen, was sie falsch gemacht hatte. Sie glitt ab in Rechtfertigungen, wo keine notwendig waren, es klang aggressiv, und alles kam vollkommen anders heraus, als sie es sagen wollte. Dadurch wurde sie wieder wütend, auf die Zeitung, die undankbaren Mandanten und am meisten auf sich selbst.
Willi, der bis dahin mit bewegungslosem Gesicht vor seinem Pastateller gesessen hatte, warf ihr schließlich vor, selbstgerecht zu sein, unerträglich stur und nicht teamfähig.
Clara keifte zurück, es gäbe schließlich wichtigere Dinge als Geld, und er sei nur zu feige, sich
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