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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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aufsuchte, aber sicher keine siamkatzenliebende, haschischrauchende Malerin im Rollstuhl in einer Wohnung mit der besten Aussicht von ganz München.
    Sie versuchte, den Faden ihres Gesprächs wieder zu finden. »Also hatten Udo Reimers und Ruth gar keine feste Beziehung, wie es die Zeitungen geschrieben haben?«
    »Ach, was die so alles schreiben! Der Udo war ein Milchbubi, so ein quengeliges Muttersöhnchen, der sich die Haare wachsen ließ und ein bisschen auf Politik und Friedensbewegung machte. Das war doch nichts für Ruth.«
    »Und Pablo?« Clara spürte, wie ihr Magen sich aufgeregt zusammenzog.
    »Pablo, ja der, der war schon ein anderes Kaliber.« Lieselotte Winter bekam einen verträumten Gesichtsausdruck. »Auf den wäre ich selber scharf gewesen, aber gegen Ruth hatte ich keine Chance.« Sie sagte es gleichmütig, ohne Bitterkeit.
    »Was ist mit ihm geschehen? Warum taucht er in den Akten nirgends auf?«, fragte Clara.
    Lieselotte Winter strich sich über ihre Stirn und die glatten Haare und schloss für einen Augenblick die Augen. »Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er und Ruth sich den ganzen Abend gestritten haben. Ich bin früher gegangen. Kann gut sein, dass er auch irgendwann abgehauen ist, und am nächsten Tag musste er ja dann weg …«
    Clara unterbrach sie erstaunt: »Pablo war also auch auf dieser Party?«
    »Ja, natürlich! Es war doch sein Abschiedsfest! Ruth hatte es für ihn organisiert. Darum war es ja auch so bescheuert, als wieder dieser Udo auftauchte!«
    Clara starrte sie an. »Abschiedsfest? Davon weiß ich gar nichts, in den Akten stand nichts davon, kein Wort von einem Pablo …«
    Frau Winter legte ihre Pfeife behutsam in den Aschenbecher. »Er war ja nicht mehr da.«
    Clara fragte sich, ob es von dem Haschischrauch kam, dass sie der Frau nicht mehr folgen konnte. »Er war nicht mehr da?«, wiederholte sie vorsichtig.
    Lieselotte Winter nickte. »Er ist gleich am nächsten Tag abgereist. Nach Italien. Deswegen ja die Feier. Er hatte die Möglichkeit, dort ein halbes Jahr in einer Meisterklasse zu studieren.«
    Sie fuhr mit ihrem Rollstuhl zu dem Sekretär in der Ecke und scheuchte die Katze hinunter, dann kam sie zurück mit einer Schuhschachtel im Schoß.
    »Ich habe die Bilder extra für Sie rausgesucht. Es ist eine Ewigkeit her, seit ich sie mir angesehen habe.«
    Sie legte Clara ein Foto hin. Es zeigte zwei junge Frauen, beide mit halb vollen Weingläsern und Zigaretten in den Händen, lauthals singend.
    »Wir waren Fans von Janis Joplin«, meinte sie etwas verlegen. »Nicht dass wir auch nur einen richtigen Ton getroffen hätten, aber das war ja nicht wichtig.«
    Sie runzelte die Stirn und dachte nach. »Wie hieß nur das Lied, das wir immer gesungen haben? Es war Ruths Lieblingslied. Irgendetwas mit blue girl …«
    » Little Girl Blue «, flüsterte Clara und konnte kaum glauben, dass es solche Zufälle gab. Seit Jahren hatte sie nicht mehr an dieses Lied gedacht, und dann hatte sie es vor gerade einmal zwei Tagen im Murphy’s gesungen. Warum? Warum ausgerechnet dieses Lied? Sie senkte den Blick auf das Foto in ihren Händen, und ihre Finger wanderten langsam, fast zärtlich über Ruths Gesicht.
    »Ach, Sie kennen es?«, fragte Frau Winter überrascht. »Die meisten wissen heute nicht viel mehr, als dass Janis Joplin an einer Überdosis Drogen gestorben ist.« Sie begann, auf den Knöpfen der Stereoanlage neben sich herumzudrücken. »Warten Sie. Ich habe es mir angehört, bevor Sie gekommen sind …« Sie drückte auf Start und Janis Joplins schmerzhafte, wilde, unendlich traurige Stimme erfüllte den Raum.
    Clara schluckte und versuchte unauffällig die Tränen wegzuzwinkern, die ihr in die Augen traten. »Bitte, schalten Sie es aus«, bat sie und hörte, wie ihre Stimme dabei zitterte.
    Frau Winter gehorchte. Es war ihr nicht anzumerken, ob sie sich über Claras Bitte wunderte. Die nachfolgende Stille war, als hätte die Stopptaste auch ihr Gespräch unterbrochen, und keine der beiden Frauen konnte sich durchringen, wieder auf Start zu drücken. Clara hatte das unangenehme Gefühl, durch dieses Lied sei eine Intimität zwischen ihr und Ruth entstanden, die sie nicht wollte, die einen Schritt zu weit ging. Sie fühlte sich, als ob man etwas aus ihr herausgezogen und in einer feindlichen Umgebung ausgesetzt hätte, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte. Verstört legte sie das Foto auf den Tisch und nahm einen Schluck von dem kalt gewordenen Tee.
    Lio Winter saß eine

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