Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
Vom Netzwerk:
versprach, und dann, nach einer Weile kam ein neues Wort hinzu, zögernd, zunächst nur ganz vorsichtig ausgesprochen: War es ein gutes oder schlechtes Wort? Cadaqués . Es klang gut, verheißungsvoll. Clara kannte den Ort, sie war einmal dort gewesen vor vielen Jahren auf ihren Zigeunerreisen durch Europa und Nordafrika. Ein kleines Dorf an der spanischen Küste, nicht weit von der französischen Grenze. Salvador Dalì hatte dort einmal gelebt, wenn sie sich nicht täuschte. Ganz in der Nähe, in Figueras, gab es das berühmte Dalì-Museum mit großen Eiern statt Zinnen auf den Mauern. Ihre Gedanken verloren sich, während sie die Worte vor sich hin murmelte: Cadaqués, Figueras …
     
    Irgendwann blieb sie stehen. Sie wusste nicht genau, wo sie sich befand. Die Straße war ihr fremd. Irgendwo im Westend, glaubte sie sich zu erinnern. Sie sah auf die Uhr: Es war halb neun. Und als hätte diese alltägliche Bewegung, den Arm zu heben und einen Blick auf ihre Armbanduhr zu werfen, sie zurückgeholt aus den Gefilden, in denen sie sich befunden hatte, spürte sie plötzlich, dass ihr kalt war. Sie sah sich um. Auf der anderen Seite der Straße befand sich ein Taxistand. Sie nahm Elise am Halsband und lief hinüber.
    Nach einem kurzen Disput mit dem Taxifahrer, der Elise zunächst misstrauisch gemustert und sich geweigert hatte, ein Kalb, wie er sich ausdrückte, zu befördern, stiegen Clara und ihr Hund in den Wagen. Es hatte keine große Überredungskunst bedurft, abgesehen davon, dass Clara im Moment dazu auch gar nicht fähig gewesen wäre. Etwas an ihrem Blick und ihrer Erscheinung, ihrem leisen und bestimmten Beharren, jetzt sofort in dieses Taxi einsteigen zu wollen, hatten den Fahrer offenbar überzeugt, dass es besser war, mit dieser Frau im Augenblick keinen Streit vom Zaun zu brechen. Clara wusste nicht genau, wie sie reagiert hätte, wenn er sich geweigert hätte, sie beide zu transportieren. Entweder hätte sie einen Weinkrampf bekommen, oder aber sie wäre auf ihn losgegangen. Der Mann schien zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen zu sein, denn nach einem prüfenden Blick in ihr Gesicht zuckte er nur noch mit den Schultern und ließ sie einsteigen.
    Als er sie nach dem Ziel fragte, musste Clara nicht lange überlegen. Es gab nur eine Person, der sie jetzt begegnen wollte. »Murphy’s Pub«, sagte sie knapp und spürte, wie eine Welle der Erleichterung sie durchströmte, als der Wagen sich in Bewegung setzte. Es gab sie noch, ihre vertraute Welt.
    Mick hingegen sah keineswegs erleichtert aus, als Clara schließlich nach einer schweigsamen und ziemlich teuren Taxifahrt erschöpft in das Pub gestolpert kam. Auf seinem Gesicht zeigte sich solches Erschrecken, dass Clara selbst erschrak und sich benommen fragte, wie sie wohl aussah. Ihre Hand fuhr zu ihrem Mund, und sie spürte das verkrustete Blut im Mundwinkel. Zaghaft tastete sie daran herum und versuchte dann zögernd, ihre Haare zu ordnen, die ihr, wie sie erst jetzt bemerkte, in dicken, unordentlichen Strähnen ins Gesicht fielen.
    »Was ist passiert?« Mick war hastig auf sie zugekommen und fasste sie an den Schultern. »Was ist los, Clara? Was ist mit dir?«
    Clara schüttelte nur den Kopf. »Bitte, bring mir einen Whiskey«, flüsterte sie und widerstand der Versuchung, sich sofort an Micks Schulter zu lehnen und dort, mitten im Raum, einfach stehen zu bleiben. Stattdessen folgte sie ihm an die Bar und kletterte mühsam auf einen der Barhocker. Ihre Hände schlossen sich um das gut gefüllte Glas, das Mick ihr mit besorgtem Gesichtsausdruck reichte, und sie trank es in gierigen Schlucken aus. Wie Feuer brannte der Alkohol ihre Kehle hinunter, doch es reichte nicht aus, um sich wieder zu spüren. Stumm schob sie es Mick erneut hin, doch er schüttelte den Kopf.
    »Hast du heute überhaupt schon etwas gegessen?«, fragte er.
    Clara überlegte, und ihr fiel nichts ein. Gleichzeitig fühlte sie, wie schwach sie plötzlich war, und die aufgereihten Flaschen hinter Mick begannen vor ihren Augen leicht zu schwanken. Mit beiden Händen versuchte sie, sich an der Theke festzuhalten, doch das warme, abgegriffene Holz entschlüpfte ihren Fingern. Sie hörte noch, wie jemand neben ihr erschrocken aufschrie, dann griffen ihre Finger ins Leere.
    Jemand fing sie auf, kräftige Arme fassten sie unter die Achseln, und Clara kam zitternd auf die Füße.
    »Mick«, flüsterte sie, und klammerte sich an einem Arm fest. »Mick, wo bist du?« Sie sah in lauter fremde

Weitere Kostenlose Bücher