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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Gesichter, die sie anstarrten, jemand sagte etwas zu ihr, doch sie verstand nichts. Ihr Beine fühlten sich merkwürdig an, als wollten sie sie nicht tragen. Clara schluckte und begann unvermittelt zu weinen.
    Dann war Mick da. Er hielt sie fest und führte sie mit sanftem Druck zum Ausgang. Clara legte den Kopf auf seine Schulter und schloss die Augen, während ihr noch immer die Tränen übers Gesicht liefen. »Elise«, flüsterte sie schwach und streckte suchend ihre Hand aus, bis ihre Finger sich um das Halsband schlossen. Dann waren sie bei Micks Auto, sie kletterte hinein und ließ sich auf den Sitz fallen.
     
    Eine unbestimmte Zeit später fand sich Clara in eine Decke gewickelt am Küchentisch von Micks Wohnung wieder und ihre Finger umklammerten statt dem Glas Whiskey eine dickwandige Tasse süßen, starken Tees.
    » A fine cup of tea «, murmelte Clara und schlürfte vorsichtig. »Ist euch das angeboren, euch Engländern? Das mit dem Tee?« Sie nahm einen zweiten Schluck. »Gar nicht so schlecht.«
    Ihre Stimme zitterte noch immer ein wenig. Neben der Tasse stand ein Teller mit riesigen, üppig gebutterten Scheiben Toastbrot. Sie griff probeweise nach einem Stück, zog dann aber die Hand wieder zurück. Ihr war noch immer leicht übel.
    Mick lehnte an der Spüle. Er betrachtete sie besorgt. »Was ist bloß passiert, Clara?«
    Clara hob den Kopf und sah ihn an. Sah sein kantiges, unregelmäßiges Gesicht mit den rauen, dunkelblonden Bartstoppeln. Seine blauen Augen. »Wie das Meer«, murmelte sie leise in ihre Tasse hinein. »Wie das Meer.«
    »Clara! Bitte, sprich mit mir!« Mick nahm den zweiten Stuhl und setzte sich neben sie. Er zog ihre Hände behutsam von der Tasse weg und umschloss sie mit seinen warmen langen Fingern. Wie immer. Mick hatte immer warme Hände.
    Clara wandte sich ihm zu. Sie öffnete den Mund, wollte es ihm erzählen, die ganze Geschichte, von Anfang an. Doch es kam kein Ton heraus. Sie fand keinen Anfang. Stattdessen fiel ihr der Schrei ein. Den Schrei, den sie heute Nachmittag gehört hatte und von dem sie geglaubt hatte, er stamme von Ruth. Doch es war ihr Schrei gewesen. Hoch und schrill und voller Angst.
    »Wie Glas«, flüsterte sie erschüttert. »Der Schrei hatte die Farbe von dünnem Glas, kurz bevor es zerbricht.« Sie sah Mick ernst an. »Bitte, sag mir, welche Farbe habe ich für dich?«
    Mick hob die Brauen, und die Besorgnis in seinem Gesicht vertiefte sich. »Welche Farbe du hast?«, wiederholte er irritiert.
    Clara nickte furchtsam. Es hing so viel von dieser Antwort ab, eigentlich alles. Mick schien Claras stummes Flehen bemerkt zu haben. Er runzelte die Stirn und überlegte. Nach einer Weile sagte er zögernd: »Du hast … ähm … also, ich denke, du hast die Farbe von Holz, wie das Holz von Kiefern mit dieser rötlich grauen Rinde, oder Pinien, dieses rötliche Braun, es scheint erst matt, mehr grau als braun, aber gleichzeitig leuchtet das Rot hindurch …« Er stockte und verstummte verlegen. »Meintest du so etwas in der Art?«
    Clara nickte, und es gelang ihr sogar ein mattes Lächeln. »Genau so etwas habe ich gemeint.«
    Dann löste sie die Hände aus seinem Griff und nahm sich eines der Brote, die er ihr geschmiert hatte. Während sie kaute, kam ihr plötzlich ein Gedanke. Ein in dieser Situation völlig unpassender, aber gleichzeitig tröstlicher, starker Gedanke, der ihr ein warmes, sicheres Gefühl irgendwo in ihren Eingeweiden verschaffte. Sie spülte den Rest Brot mit einem großen Schluck Tee hinunter, dann fragte sie: »Hättest du vielleicht Lust, mich auf die Geburtstagsfeier meines Vaters zu begleiten?«
     
    Clara schlief wie ein Stein. Keine Albträume jagten sie, keine Ängste hielten sie wach. In dem Moment, als sie sich auf Micks breites Bett fallen gelassen hatte, das mitten in dem großen Raum stand, der seine Wohnung darstellte, waren ihr schon die Augen zugefallen. Sie bemerkte nicht, wie Mick sie zudeckte und das Deckenlicht ausschaltete, sie hörte nicht, wie er zunächst etwas unschlüssig in der Wohnung herumging, die Teetasse und den leeren Teller wegräumte und sich schließlich in den tiefen, alten Sessel fallen ließ, der am Fenster stand und nach kurzem Zögern die Stehlampe anknipste.
    Er streckte seine langen Beine aus und legte sie auf die Fensterbank, dann nahm er sich eines der Bücher, die in einem Stapel neben dem Sessel auf dem Boden lagen, und begann zu lesen.
    Elise lag wachsam neben der schlafenden Clara auf dem

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