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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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nass bis auf die Haut, und in ihren Schuhen quietschte das Wasser. Das Tor zum Friedhof war bereits abgeschlossen. Angestrengt spähte sie durch das Gitter. Nichts regte sich, die Wege zwischen den Gräbern lagen dunkel und verlassen da. Dort, wo das Licht der Straßenbeleuchtung hineindrang, glänzten die Pfützen. Sie rief Ruths Namen, doch sie bekam keine Antwort. Clara machte endlich kehrt. Es war sinnlos, weiterzusuchen. Sie hatte keine Ahnung, wo Ruth sein konnte.
     
    Als Clara schließlich zitternd vor Nässe und Kälte an der Kanzlei ankam, war diese längst abgeschlossen. Sie ging hinüber zu Rita, wo Willi und Linda in trauter Zweisamkeit Spaghetti aßen. Elise saß an ihrem Stammplatz vor der Tür zur Küche und begrüßte sie mit einem freundlichen Schwanzklopfen und einem feuchten Schmatz. Clara hängte ihren nassen Mantel an die Garderobe und kam an Willis und Lindas Tisch.
    Willi sah sie entsetzt an »Was ist denn mit dir passiert?«
    Clara winkte müde ab und ließ sich auf den Stuhl fallen. »Hat jemand für mich angerufen?«, wollte sie wissen.
    Linda und Willi schüttelten einträchtig den Kopf. »Jedenfalls nicht bis sechs«, meinte Linda. »Danach sind wir hierher.«
    Clara warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz nach sieben. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, dass sie heute Nachmittag mit Ruth zum Präsidium gefahren war. Sie nahm sich ein Weißbrot aus dem Korb auf dem Tisch. »Ruth Imhofen hat nicht angerufen?«, fragte sie noch einmal.
    Willi schüttelte wieder den Kopf. »Was ist denn passiert?«
    Clara erzählte es ihm in dürren Worten, ließ ihren K.o.-Schlag dabei aus und auch ihr Gespräch mit Gruber.
    »Sie ist abgehauen?«, fragte Willi ungläubig.
    Clara nickte kauend. Sie hatte plötzlich riesigen Hunger. Als sie sich suchend nach Rita umdrehte, kam diese bereits auf sie zu, ein großes, gestreiftes Frotteehandtuch in der Hand. Clara bestellte einen Teller Nudeln und rieb sich dankbar die Haare und das Gesicht trocken. Das Handtuch roch nach einem italienischen Waschmittel, Clara erinnerte sich an diesen Geruch, der irgendwie antiseptisch war, ähnlich wie Chlor, und der allen Handtüchern, die sie in Italien jemals in der Hand gehabt hatte, anhaftete. Ließ sich Rita ihre Waschmittel etwa aus Italien schicken? Clara beschloss, sie irgendwann danach zu fragen. Dann widmete sie sich stumm und mit großer Konzentration ihren Nudeln, die Rita in der Zwischenzeit serviert hatte, und lauschte dabei mit einem Ohr Willi und Linda, wie sie sich über Ruths Flucht unterhielten.
    Als sie schließlich den Teller auf die Seite schob, merkte sie plötzlich, dass sie genug für heute hatte. Sie wollte nichts mehr von Ruth Imhofen hören. Ruth würde irgendwann zurück ins Haus Maximilian kommen. Wahrscheinlich noch heute Abend. Wo sollte sie auch sonst hin? Clara bezahlte, drückte Willi einen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich von Linda. Morgen. Morgen war auch noch ein Tag.
     
    Als sie kurz darauf zu Hause ankam, fiel ihr Blick sofort auf den hektisch blinkenden Anrufbeantworter. War Ruth etwa aufgetaucht? Sie drückte auf den Knopf, um die Nachricht abzuhören, noch während sie ihren feuchten Mantel aufhängte und die Schuhe abstreifte. Doch es war nicht Pater Roman, sondern Mick. Er rief aus dem Pub an, im Hintergrund waren laute Stimmen zu hören. Freunde von ihm seien da und würden ein bisschen Musik machen, ob sie nicht Lust hätte zu kommen?
    Ihre erste Reaktion, noch während er sprach, war ein heftiges Kopfschütteln. Nein. Heute sicher nicht mehr.
    Es folgte eine Pause und ein kurzes Räuspern, und dann fügte Mick noch hinzu, er würde sich wirklich sehr freuen, wenn sie noch käme. »Bitte komm doch«, bat er am Ende und legte auf, ohne sich zu verabschieden.
    Clara starrte nachdenklich den Anrufbeantworter an. Plötzlich schien ihr der Gedanke, nach diesem Katastrophentag noch ein wenig auszugehen, und vor allem die Aussicht, Mick zu treffen, gar nicht mehr so abwegig. Aber Freunde von Mick waren da. Sie krauste die Stirn. Was waren das wohl für Freunde? Sicher alle mindestens zehn Jahre jünger als sie. Wie würden sie sie ansehen? Andererseits, er hatte sie ausdrücklich gebeten zu kommen, also schien es ihm nicht peinlich zu sein, sie ihnen vorzustellen … Clara seufzte und warf einen Blick in den Spiegel. In jedem Fall war vorher noch eine heiße Dusche fällig.
     
    Kurz nach neun war Clara in Murphy’s Pub. Es war nicht so voll wie an den Wochenenden, aber die

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