Brudermord
wohl nötig gewesen sein …«
Clara entschied sich, vorerst nichts zu sagen. Auch wenn Gruber ihr mittlerweile etwas menschlicher vorkam im kaffeebespritzten Hemd und mit aufgeschlagener Unterlippe, traute sie ihm doch noch nicht so ganz über den Weg. Er war von Ruth Imhofens Schuld überzeugt, und wenn sie ehrlich war und sich in seine Lage versetzte, konnte sie es ihm nicht einmal verdenken.
Sie nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette und drückte sie dann in der Untertasse aus. »Sie hatten etwas von einem Motiv gesagt …«, meinte sie schließlich.
Gruber schob das Kinn vor. »Also doch eine Unterhaltung mit dem bösen Polizisten?«
Clara winkte ab. »Du meine Güte, jetzt seien Sie doch nicht so empfindlich«, sagte sie gereizt. »Ich sollte eigentlich gar nicht mehr hier sein.«
Sie spürte, wie sie nervös wurde. Was tat sie noch hier? Sie musste sich auf den Weg machen, um Ruth zu finden.
Gruber nahm ein Glas und schenkte ihr etwas von dem Wasser ein, das noch auf dem Tisch stand. »Meine Leute suchen sie bereits. Sie können schon noch ein paar Minuten sitzen bleiben.«
Er warf einen Blick auf die Ärztin, die noch immer zusammen mit Kommissarin Sommer wartete, und nickte knapp. Beide verließen den Raum.
Als sich die Tür hinter ihnen schloss, nahm sich Gruber ebenfalls von dem Wasser. »Was war das für eine Geschichte mit der Tür, was haben Sie damit gemeint?«, fragte er.
Clara lächelte. »Ich habe zuerst gefragt: Was war das mit dem Motiv?«
»Also gut.« Gruber erwiderte ihr Lächeln, was ihn um einiges sympathischer wirken ließ. »Sie wissen wahrscheinlich, dass Ruth und Johannes Imhofen die Kinder von Friedrich Imhofen sind? Dem Gründer der Imhofen Werke?«
Clara nickte vage, und Gruber fuhr fort. »Als damals die Eltern starben, wurde ein Vermögensverwalter eingesetzt. Es gab ein Testament, das vorsah, dass die Kinder das Privatvermögen der beiden zu gleichen Teilen erben würden. Ruths Anteil wurde treuhänderisch verwaltet, jedoch ist der größte Teil durch den langen Aufenthalt in der Privatklinik verbraucht.«
Clara lachte bitter auf: »So viel also zu Johannes’ Großzügigkeit gegenüber seiner Schwester. Er hat keinen müden Cent seines eigenen Vermögens dafür ausgegeben.«
Gruber nickte und sprach weiter: »Johannes Imhofen bekam außerdem die Anteile an der Firma und die Villa. Dabei wurde festgelegt, dass beides in Familienbesitz verbleiben sollte. Nachdem beide Geschwister keine Kinder haben, heißt das, dass Ruth mit Imhofens Tod alles erbt. Imhofens Frau geht leer aus.«
Clara sah ihn an. »Das heißt, Ruth Imhofen ist jetzt Eigentümerin der Firma und der Villa?«
»Die Firma bringt nichts mehr. Die Anteile wurden größtenteils verkauft, das Unternehmen ist pleite. Aber das Anwesen in Grünwald dürfte ein kleines Vermögen wert sein.«
Clara zündete sich eine zweite Zigarette an. »Sie glauben tatsächlich, dass Ruth Imhofen ihren Bruder wegen dieser Villa erschlagen hat?« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist wirklich das Abwegigste, was ich je gehört habe.«
»Warum? Es haben Leute schon wegen weniger gemordet. Und vielleicht geht es dabei gar nicht so sehr ums Geld: Ruth braucht ein Zuhause, sie ist vollkommen entfremdet nach diesen vielen Jahren in der Klinik, das Einzige, was unverändert geblieben ist, ist ihr Elternhaus.«
»Aber sie hätte doch auch so dort wohnen können! Ihr Bruder hätte sie doch nicht im Stich gelassen …«, wandte Clara ein, und schon während sie es sagte, kamen ihr Zweifel daran.
»Das wissen wir nicht. Was wir aber wissen, ist, dass er sich in den letzten vierundzwanzig Jahren keinen Pfifferling um Ruth gekümmert hat«, wandte Gruber ein und fügte angesichts Claras erstauntem Blick hinzu. »Sie glauben wohl, wir drehen den ganzen Tag nur Däumchen, was?«
Clara wurde rot und schüttelte den Kopf. »Nein, ich dachte nur …« Sie verstummte verlegen.
Gruber fuhr unbeirrt fort: »Ich denke, Ruth Imhofen war am Nachmittag dort, um ihren Bruder zu besuchen, es war aber niemand da. Später ist sie zurückgekommen und hat ihn in der Tiefgarage abgepasst. Sie wollte wahrscheinlich nur mit ihm reden. Vielleicht kam dabei zur Sprache, dass sie wieder in der Villa wohnen wollte, vielleicht hat sie ihm auch Vorwürfe gemacht, völlig zu Recht, wie ich meine, jedenfalls kam es zu einem Streit …« Er brach ab und warf Clara einen abwartenden Blick zu.
Clara hatte zwischenzeitlich längst begriffen, was Gruber damit
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