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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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bezweckte, dass er diese Theorie so freimütig vor ihr ausbreitete, und sie musste zugeben, dass er sich dabei ziemlich geschickt anstellte: Er bot an, Ruth Imhofen eine Brücke zu bauen. Eine Brücke, die sie wegführte von der gefährlichen Irren und auch weg von einem Mord aus Habgier. Ein Totschlag im Affekt. Und das aus nachvollziehbaren Gründen: Der böse Bruder kümmert sich nicht um seine kleine Schwester, er verweigert ihr den Zutritt zu ihrem Elternhaus, entzieht ihr das angestammte Wohnrecht. Sie hat sich in all den Jahren daran festgehalten, dorthin zurückzukehren, jetzt sieht sie sich getäuscht, verraten und verkauft, sie greift sich … Clara hielt in ihren Überlegungen inne. »Was war denn die Tatwaffe?«
    Gruber hob die Schultern. »Am Tatort wurde nichts gefunden.«
    »Aber es muss doch irgendeine Vermutung geben, was hat denn die Obduktion ergeben?«, fragte Clara zweifelnd nach.
    Gruber zuckte mit den Schultern, antwortete aber nicht.
    Clara musterte ihn einen Augenblick misstrauisch, dann sagte sie langsam: »Ich möchte Akteneinsicht. Sofort.«
    »Frau Niklas, die Ermittlungen sind noch lange nicht abgeschlossen, Sie wissen doch selbst …«, begann Gruber unwirsch.
    Clara unterbrach ihn: »Was ich weiß, ist, dass ich diesen Raum nicht verlassen werde, ohne die Akten gesehen zu haben.«
    Gruber maß sie mit einem wütenden Blick. »Ich darf Ihnen die Einsicht nicht gewähren, das wissen Sie genau. Das entscheidet der Staatsanwalt.«
    Clara stand auf. Ihr war klar, was Grubers Zögern auf ihre Frage bedeutete: Das Ergebnis der Obduktion passte nicht zu Grubers »Theorie« einer Affekthandlung. Die Tatwaffe war irgendein Gegenstand, der nicht einfach so in der Tiefgarage herumlag, den der Täter also mitgebracht haben musste. Das deutete jedoch eher auf eine Vorsatzhandlung hin als auf einen Totschlag im Affekt, und das vermeintliche Angebot Grubers war nichts als ein billiges Manöver gewesen, um Ruth zu einem Geständnis zu bringen.
    Trotzdem hakte sie nochmals nach: »Gibt es denn keine Hinweise? Der Obduktionsbericht muss doch etwas über die Art der Verletzung …«
    Gruber schüttelte den Kopf. »Nicht direkt«, meinte er schließlich widerstrebend.
    »Nicht direkt also…«, wiederholte Clara gedehnt. Dann lächelte sie und fragte: »Und indirekt?«
    Gruber starrte sie finster an. Er schien mit sich zu kämpfen. Nach einigen endlos scheinenden Sekunden, in denen Clara seinem Blick zornig standhielt, gab er nach. »Also gut, wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Es war ein schwerer Gegenstand ohne spitze oder scharfe Kanten, vermutlich ein großer Hammer oder etwas Ähnliches.«
    »Ach. Und wie soll das Ihrer Meinung nach mit Ruth zusammengehen? Wo hätte sie denn einen solchen Hammer hergehabt? Vielleicht aus dem Haus Maximilian? Da hängt in jedem Zimmer ein großer schwerer Hammer zur Befriedigung etwaiger Mordgelüste der Bewohner …«, spottete Clara. Sie war wütend, dass sie Gruber fast auf den Leim gegangen wäre.
    Gruber stand auf und ging zur Tür. »Darauf müssen Sie sich schon selbst einen Reim machen. Mehr steht in der Akte auch nicht. Wenn ich Sie jetzt bitten dürfte.« Er machte eine einladende Handbewegung zum Flur hinaus. »Ihren Antrag auf Akteneinsicht werde ich an die Staatsanwaltschaft weiterleiten.«
    Clara nickte huldvoll. »Herzlichen Dank.« Immerhin hatte Gruber vergessen, sie noch mal nach der weißen Kammer zu fragen.
    Im Flur kamen ihr zwei Beamte mit frustriertem Gesichtsausdruck entgegen, die nass und ziemlich außer Atem waren. Offenbar hatten sie Ruth nicht gefunden.
    Clara ging an ihnen vorbei und trat auf die Straße hinaus. Es war bereits fast dunkel, und es regnete heftig. Trotzdem lief sie los in der vergeblichen Hoffnung, gleich hinter der nächsten Ecke würde Ruth auf sie warten.
    Kommissar Walter Gruber sah ihr vom Fenster aus nach und ihm entfuhr der gleiche Fluch, den die Zeugin heute Nachmittag schon als passend erachtet hatte. »Himmelherrgottsakrament!«
    Clara lief zu Fuß den ganzen Weg zurück zum Haus Maximilian, doch keine Spur von Ruth. Pater Roman empfing sie mit versteinertem Gesicht. Die Polizei war schon da gewesen. Sie gab ihm ihre Privatnummer und bat ihn, sie jederzeit anzurufen, falls Ruth auftauchen sollte, dann suchte sie weiter. Sie lief den Weg an der Isar entlang und die Straßen, die sie auf ihrer gestrigen Einkaufstour gegangen waren. Als sie am alten Friedhof ankam, hatte es zu regnen aufgehört. Doch sie war längst

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