Bruderschaft der Unsterblichen
leben verlangt. Somit kann ich nun nicht mit Bestimmtheit sagen, wer dem Neunten Mysterium unterliegen wird. Nur, daß ich jeden meiner Schritte sorgfältig bedenke, und das werde ich so lange tun, wie wir uns hier aufhalten. (Wie lange mag das wohl sein? Darüber haben wir eigentlich noch nie nachgedacht. Ich rechne mir aus, daß die Osterferien in sechs oder sieben Tagen vorüber sein werden. Sicher ist die Prüfung bis dahin noch nicht beendet. Ich habe so das Gefühl, es könnte Monate oder Jahre dauern. Werden wir trotzdem nächste Woche abhauen? Wir haben geschworen, es nicht zu tun, aber natürlich können die Brüder uns nicht viel anhaben, wenn wir uns alle in tiefer Nacht davonschleichen. Aber ich will bleiben. Wochenlang, wenn es sein muß. Wenn nötig, jahrelang. Man wird uns in der Welt draußen für vermißt erklären. Das Einwohnermeldeamt, das Kreiswehrersatzamt, unsere Eltern, sie alle werden uns vermissen. So lange jedenfalls, wie sie nicht hier nach uns suchen. Die Brüder haben unser Gepäck aus dem Wagen geholt. Der Wagen selbst steht noch immer am Rand des Wüstenpfads. Wird die Landespolizei ihn bei Gelegenheit bemerken? Werden sie einen Mann losschicken, um auf dem Pfad nach dem Besitzer des glattpolierten Sedans zu suchen? Das ist für uns natürlich ein Unsicherheitsfaktor. Aber wir werden für die Dauer der Prüfung hier bleiben. Auf jeden Fall werde ich hier bleiben.)
Und wenn alles um den Ritus der Schädel der Wahrheit entspricht?
Ich werde nicht hier bleiben, wie das die Brüder zu tun scheinen, nachdem ich das erlangt habe, wonach ich strebe. Nun, fünf oder zehn Jahre werde ich noch hier verbringen, aus einem Gefühl des Anstands, der Dankbarkeit heraus. Aber dann will ich raus. Die Welt ist groß, warum also die Ewigkeit in einem Wüstenort verleben? Ich habe schon genaue Vorstellungen von meinem zukünftigen Leben. Auf eine gewisse Weise sind sie denen von Oliver ähnlich: Ich werde meinen Hunger nach Wissen stillen. Ich werde hintereinander mehrere Leben leben und versuchen, aus jedem das Beste zu machen. Sagen wir mal, ich verbringe zehn Jahre in der Wall Street und warte dort auf meine Chance. Falls mein Vater recht hat, und da bin ich ganz sicher, kann jeder einigermaßen Vernünftige die ganze Szene schlagen, indem er lediglich das Gegenteil von dem tut, was die vermeintlich gewieften Börsenhaie tun. Sie sind wie Schafe, wie Vieh, ein Haufen von goyische Kops. Plump und gierig folgen sie bald dieser, bald jener Marotte. Also werde ich das Gegenteil ihres Spiels tun und dabei zwei bis drei Millionen verdienen, die ich in sichere Anlagen investiere, mit guten Dividenden, nichts Übertriebenes, aber eine langsame, stetige Einkommensverbesserung. Ich meine, schließlich muß ich von diesen Dividenden die nächsten fünf- bis zehntausend Jahre leben. Somit bin ich finanziell unabhängig. Was als nächstes? Wie wär’s mit zehn Jahren voller Ausschweifungen? Warum nicht? Mit genügend Geld und Selbstvertrauen kann man sich jede Frau auf der Welt anlachen, nicht wahr? Jede Woche werde ich Margo und ein Dutzend von ihrer Sorte um mich haben. Ich habe ein Recht darauf. Ein bißchen der Begierde nachgeben, klar; sicher, es ist nicht intellektuell, und wichtig ist es auch nicht, aber das Bumsen muß auch seinen Platz in einem allseitig abgerundeten Leben haben. Nun gut, Zaster und Weiber. Danach werde ich mich um mein geistiges Wohlergehen bemühen. Fünfzehn Jahre in ein Trappistenkloster. Kein Wort werde ich sprechen; ich werde meditieren und Gedichte schreiben, ich werde versuchen, Gott nahezukommen, ich werde das Wesen des Universums durchdringen. Vielleicht besser zwanzig Jahre. Die Seele läutern, sie reinigen, sie in sphärische Höhen aufsteigen lassen. Dann habe ich etwas aus mir gemacht und werde mich dem Bodybuilding widmen. Acht Jahre lang ständig an mir arbeiten. Eli, der Muskelmann. Nicht mehr der Siebenundneunzig-Pfund-Schwächling. Ich werde surfen, Ski fahren, die East-Village-Indian-Ringer-Meisterschaften gewinnen. Als nächstes? Die Musik. Ich habe mich nie so intensiv mit Musik beschäftigen können, wie ich das immer wollte. Ich werde mich in Juilliard einschreiben, für vier Jahre, der ganze Kram, werde in das Innere der Musikkunst eindringen, Beehovens späte Quartette erfassen, das wohltemperierte Klavier, Berg, Schoenberg, Xenakis, die härteren Sachen, und ich werde die Techniken, die ich im Kloster erlernt habe, dazu benutzen, um in das Herz des
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