Bruderschaft der Unsterblichen
wie viele es eigentlich sind; ich weiß nie, ob die Frauen, die ich gerade sehe, andere sind oder dieselben. Am zweiten Tag hier fragte Timothy Bruder Antony nach ihnen, aber er bekam die höfliche Antwort, daß es verboten sei, einem Mitglied der Bruderschaft eine direkte Frage zum Prüfungsablauf zu stellen; zur rechten Zeit würden wir die richtigen Antworten erhalten, versprach uns Bruder Antony. Und damit mußten wir uns zufriedengeben.
Jeder Tag erwartete uns mit einem vollen Programm. Wir stehen mit der Sonne auf; da es keine Fenster gibt, sind wir in dieser Frage auf Bruder Franz angewiesen, der im Morgengrauen durch die Schlafraumabteilung läuft und an die Türen klopft. Die erste Pflicht ist ein Bad. Dann gehen wir zu den Äckern hinaus und arbeiten eine Stunde. Die Brüder versorgen sich selbst mit Nahrungsmitteln in einem Garten, der etwa zweihundert Meter hinter dem Gebäude liegt. Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem pumpt Wasser aus irgendeiner tiefen Quelle; seine Errichtung muß ein Vermögen gekostet haben, so wie der Bau des Schädelhauses mindestens zwei Vermögen gekostet haben muß; aber ich vermute, daß die Bruderschaft ungeheuer reich ist. Wie Eli einmal erklärte, wird jede fortbestehende Organisation, die ihre Anlagen drei- oder vierhundert Jahre lang zu fünf oder sechs Prozent verzinst, am Ende ganze Kontinente besitzen. Die Brüder pflanzen Getreide, Kräuter und eine ganze Reihe von genießbaren Früchten, Beeren, Wurzeln und Nüssen an; ich habe meistens keine Ahnung, was das für Pflanzen sind, die wir so liebevoll reinigen und betreuen, und ich vermute, daß es sich hauptsächlich um exotische Pflanzen handelt. Reis, Bohnen, Korn und darmblähende Früchte wie zum Beispiel Zwiebeln sind hier verboten. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß Weizen hier nur am Rande geduldet, als etwas angesehen wird, daß zwar ohne Wert, aber irgendwie doch notwendig ist: Er wird erst strengstens fünfmal gesiebt und zehnmal gemahlen, begleitet von besonderen Meditationen, bevor man daraus Brot bäckt. Die Brüder verzehren kein Fleisch, und wir dürfen das auch nicht, solange wir hier verweilen. Fleisch scheint hier als Quelle destruktiver Gelüste angesehen zu werden. Salz ist verbannt. Pfeffer ist verboten, genauer gesagt, der schwarze Pfeffer. Chilipfeffer dagegen liegt innerhalb des Erlaubten, und die Brüder sind ganz verrückt danach und verzehren ihn auf vielfältige Weise wie die Mexikaner – als frischen Pfeffer, getrocknete Schoten, Pulver, eingemacht etc. etc. etc. Das Zeugs, das hier gepflanzt wird, ist sehr scharf. Eli und ich sind Gewürz-Freaks, und wir benutzen den Chili sehr großzügig, auch wenn er uns manchmal die Tränen in die Augen treibt. Aber Timothy und Oliver, die milde Kost gewohnt sind, kommen damit überhaupt nicht zurecht. Ebenso beliebt sind hier Eier. Draußen steht ein Hühnerstall voll fleißiger Hennen, und in allen möglichen Formen erscheinen Eier dreimal am Tag auf dem Tisch. Die Brüder stellen auch einige milde Kräuterliköre her, unter der Aufsicht von Bruder Maurice, dem Destillierbruder.
Nach der Stunde Feldarbeit ruft uns ein Gong zusammen; wir begeben uns auf unsere Zimmer, um erneut zu baden, und dann ist Frühstückszeit. Die Mahlzeiten werden in einem der Versammlungsräume aufgetischt, auf einer eleganten Steinbank. Die Speisenfolge wird nach geheimen Prinzipien zusammengestellt, in die man uns bislang noch nicht eingeweiht hat; anscheinend haben Farbe und Form dessen, was wir zu uns nehmen, genausoviel mit der Planung der Zusammenstellung wie der Nährwert zu tun. Wir essen Eier, Suppen, Brot, Gemüsebrei und so weiter, die nach Belieben mit Chili verfeinert werden; zu trinken gibt es Wasser, eine Art Weizenbier und abends Gewürzlikör, und nichts anderes. Oliver, der Steaks gewohnt ist, beklagte sich sehr häufig über den Fleischmangel. Ich habe es zuerst auch vermißt, aber mittlerweile habe ich mich völlig an diese merkwürdige Kost gewöhnt, Eli übrigens auch. Timothy murmelt nur etwas in sich hinein und kippt einen Likör nach dem anderen. Mittags am dritten Tag hatte er zuviel Bier getrunken und bekotzte den wunderbaren Schieferboden. Bruder Franz wartete, bis er fertig war, reichte dann ein Tuch und befahl ihm wortlos, seinen Dreck wegzumachen. Die Brüder mögen Timothy nicht, vielleicht fürchten sie ihn auch, denn er ist mindestens einen Kopf größer als sie alle und übertrifft den schwersten von ihnen sicher um neunzig Pfund.
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