Bruderschaft der Unsterblichen
anzunehmen. Ich zwang mich zuzugeben, daß durchaus Mächte existieren könnten, die außerhalb des gegenwärtigen Wissenschaftsverständnisses lagen. Ich nötigte mich, die bisherige Gewohnheit abzulegen, alles Unbekannte abzulehnen, solange nicht hieb- und stichf e ste Beweise dafür vorlagen. Ich fühlte mich willig und glücklich auf einer Stufe mit den Ufologen, den Atlantis-Gläubigen, der Scientology-Sekte , den Anhängern der Meinung, daß die Erde eine Scheibe sei, den Forteans, den Makrobiotikern, den Astrologen, mit der ganzen Unmenge von Abergläubigen, in deren Gesellschaft ich mich bislang nicht sonderlich wohlgefühlt hatte. Zum Schluß glaubte ich, ich glaubte fest daran, obwohl ich die Möglichkeit nicht ausschloß, alles könne ein Irrtum sein. Ich glaubte. Dann erzählte ich Ned davon und nach einer Weile auch Oliver und Timothy. Hielt ihnen den Köder unter die Nase. Wir bieten euch das ewige Leben an. Und jetzt sind wir in Phoenix. Palmen, Kakteen, das Kamel vor dem Motel: Hier sind wir also. Morgen startet die letzte Phase unserer Suche nach dem Haus der Schädel.
19. KAPITEL
Oliver
Vielleicht habe ich mich wegen des Anhalters zu blöde angestellt. Ich weiß es nicht. Im Nachhinein verwirrt mich der ganze Vorfall. Normalerweise sind mir meine Motive immer klar, offen liegen sie vor mir. Aber dieses Mal war es anders. Ich habe Ned wirklich angebrüllt und angemacht. Warum? Eli nahm mich dafür später in die Mangel und erklärte mir, daß es nicht meine Sache sei, mich in Neds freie Entscheidung einzumischen, irgend jemandem zu helfen. Ned hatte am Steuer gesessen und damit das Kommando. Sogar Timothy, der mir doch den Rücken bei diesem Vorfall gestärkt hatte, sagte mir sp ä ter, daß er meine Reaktion für überzogen hielt. Der ei n zige, der sich an diesem Abend nicht dazu äußerte, war Ned. Aber ich wußte genau, daß Ned sich innerlich stark damit beschäftigte.
Warum habe ich so reagiert, frage ich mich. Ich war sicher nicht dermaßen in Eile, zum Schädelhaus zu kommen. Selbst wenn der Anhalter uns fünfzehn Min u ten von unserer Zeit genommen hätte, na und? Scheiß auf eine Viertelstunde, wenn einen die Ewigkeit erwartet. Es war also nicht der Zeitverlust, der mich so hatte auskli n ken lassen. Und es war auch nicht der Unsinn über Charles Manson. Ich weiß, daß es tiefer gelegen haben muß.
Blitzartig war mir diese Intuition gekommen, als Ned den Wagen abbremste, um den Hippie aufzulesen. Der Hippie ist ein Schwuler, hatte ich gedacht. Genau diese Worte: Der Hippie ist ein Schwuler. Ned hat ihn bestellt, sagte ich mir, indem er irgendwelche PSI-Fähigkeiten eingesetzt hat, die Leute seines Schlages zu haben sche i nen. Ned hat ihn direkt auf den Highway bestellt, Ned wird ihn auflesen und heute abend mit ins Motel nehmen. Ich will mir selbst nichts vormachen, genau das war es, woran ich gedacht habe. Und daneben hatte die Vorste l lung von Ned und dem Anhalter gestanden, wie sie z u sammen im Bett liegen, sich küssen, keuchen, herumwä l zen, sich abtasten und eben all das tun, was Schwulen Spaß macht, wenn sie zusammen sind. Aber ich hatte wirklich keinen Grund, diese Vorstellung ernst zu ne h men. Der Hippie war nicht mehr und nicht weniger als ein Hippie gewesen, wie fünf Millionen andere auch: barfüßig, lange, verdreckte Haare, Fellweste , Röhre n jeans. Warum hatte ich geglaubt, er sei schwul? Und selbst wenn er schwul gewesen ist, was soll’s? Haben Timothy und ich nicht auch in New York und Chikago Mädchen aufgerissen? Warum sollte dann Ned nicht ve r suchen, auch etwas für seinen Geschmack zu finden? Was habe ich gegen Homosexuelle? Schließlich ist einer meiner Zimmergenossen einer, oder nicht? Sogar einer meiner besten Freunde! Ich wußte, wie es um Ned b e stellt ist, als er in unsere Gruppe kam. Ich habe mich nicht darum gekümmert, solange er mir keine Avancen machte. Ich mochte Ned als Person, und seine sexuellen Vorlieben waren mir schnurzpiepegal. Warum also di e ser plötzliche Anfall von Bigotterie auf dem Highway? Denk mal darüber nach, Oliver. Denk ruhig mal darüber nach.
Vielleicht warst du eifersüchtig, was? Wie sieht es denn mit dieser Möglichkeit aus, Oliver? Vielleicht wol l test du nicht, daß Ned sich mit jemand anderem abgibt? Was hältst du davon, diesen Gedankengang mal eben auszuloten?
Gut, gut. Ich weiß, daß er Interesse an mir hat. Hatte er schon immer. Dieser markante Blick in seinen Augen, wenn er mich ansieht, diese
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