Bruderschaft der Unsterblichen
enthielt eigentlich die Aufford e rung an den Prinzen, dem Weltlichen zu entsagen, um teilzunehmen an den „Mysterien“ der Klosterordnung. Die Ordnung der Mönche, sagte der Abt, sei eigentlich darauf ausgerichtet, den Tod zu vertreiben, womit er nicht etwa den Triumph der Seele in der nächsten Welt meinte, sondern eher den Sieg der Körper in dieser Welt. Wir bieten Euch das ewige Leben an. Reflexion, geistige und physische Exerzitien, richtige Ernährung und so we i ter – dies waren die Tore, durch die man zum ewigen Leben gelangen konnte.
Nach einer Stunde Schweiß und Plackerei hatte ich folgendes herausbekommen:
„Das Erste Mysterium lautet wie folgt: So wie der Schädel unter dem Gesicht liegt, so lieget der Tod en t lang dem Lebensstrang. Aber, o Hochwohlgeborener, darin besteht kein Paradoxon, denn der Tod ist der B e gleiter des Lebens, das Leben ist der Vorbote des Todes. Wenn aber jemand durch das Gesicht den darunterli e genden Schädel erreichen und sich ihm freundlich erwe i sen kann, so kann dieser (unentzifferbar) …“
„Das Sechste Mysterium lautet wie folgt: Da unsere Gabe ewig verschmäht werden wird, darum müssen wir unter den Menschen ewig als Flüchtlinge leben, so mü s sen wir von Ort zu Ort fliehen, von den Höhlen des No r dens zu den Höhlen des Südens, und so ist es mir in den Hunderten von Jahren meines Lebens ergangen und in den Hunderten von Jahren meiner Vorgänger …“
„Das Neunte Mysterium lautet wie folgt: Der Preis e i nes Lebens ist immer ein Leben. Wisset, o Hochwohlg e borene, daß die Ewigkeit durch Auslöschung im Lot gehalten wird, und deshalb müssen wir Euch ersuchen, das geforderte Lot ohne Falsch aufrechtzuerhalten. Zwe i en von Euch gestatten wir, in unsere Gemeinde aufg e nommen zu werden. Aber zwei fallen der ewigen Du n kelheit anheim . Da wir im Leben täglich sterben, sollen wir durch das Sterben ewig leben. Ist einer unter Euch, der zugunsten seiner Brüder in der Viererfigur auf die Unsterblichkeit verzichten will, so daß sie die Erkenntnis der Bedeutung der Selbstaufgabe erringen können? Und ist einer unter Euch, den zu opfern seine Kameraden b e reit sind, so daß sie die Erkenntnis der Bedeutung des Ausschlusses erfassen können? Laßt die Opfer sich selbst erwählen. Laßt sie den Wert ihres Lebens nach dem Wert ihres Abgangs erwägen.“
Und mehr noch stand da, insgesamt achtzehn Myster i en und eine Zusammenfassung, die allerdings absolut unverständlich war.
Ich war wie besessen. Es war die ungeheure Faszinat i on des Textes, die mich gefangenhielt, seine düstere Schönheit, sein reichhaltiger Zierat, sein gonghafter Rhythmus – und noch gar nicht die plötzliche Verbi n dung zu diesem Kloster in Arizona. Natürlich konnte ich das Manuskript nicht nach Hause mitnehmen. Aber ich ging nach oben, arbeitete mich wie Banquos schreckl i ches Gespenst aus den Gewölben empor und beantragte zum Studium einen Studienraum zwischen den Regalen. Dann ging ich nach Hause und badete. Ned gegenüber erwähnte ich nichts von meiner Entdeckung, obwohl er bemerkte, daß mich etwas intensiv beschäftigte. Dann kehrte ich zur Bibliothek zurück, versehen mit Papier, Stiften und meinen eigenen Wörterbüchern. Das Man u skript wartete auf dem mir zugeteilten Schreibtisch b e reits auf mich. Bis zweiundzwanzig Uhr, so lange wie die Bibliothek geöffnet hatte, mühte ich mich in meiner schlechtbeleuchteten Zelle ab. Jawohl, ohne Zweifel b e haupteten diese Spanier, den Weg zur Erlangung der U n sterblichkeit zu kennen. Der Text selbst führte keine we i teren Anhaltspunkte über ihre Methoden an, sondern b e harrte lediglich darauf, daß sie damit erfolgreich seien. Eine ganze Menge Symbolik über den Schädel unter dem Gesicht war enthalten; für einen Kult, der so am Leben orientiert war, waren diese Mönche doch ziemlich stark von der Darstellung des Grabes fasziniert. Vielleicht war dies die notwendige Unstimmigkeit, der schreiende W i derspruch, wie er Ned bei seinen ästhetischen Theorien so wichtig war. Der Text machte klar, daß einige dieser schädelanbetenden Mönche, wenn nicht sogar alle, schon Jahrhunderte überlebt hatten. (Vielleicht sogar Jahrta u sende? Eine doppeldeutige Passage im Sechzehnten M y sterium deutet eine Herkunft aus einer Zeit vor den Ph a raonen an.) Ihre Langlebigkeit brachte ihnen schließlich den Mißmut der um sie herum wohnenden Sterblichen ein, von Bauern, Schäfern und Baronen; sehr oft hatten sie ihr Hauptquartier
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