Bruderschaft der Unsterblichen
Stacheln hoch und stechen einen. Das kann ich beschwören. Meine Stiefel sind über und über von Stacheln bedeckt. Die Teddybären brechen leicht, und einzelne Stücke fallen ab und rollen irgen d wohin. Überall liegen sie herum, eine ganze Reihe direkt auf dem Weg. Ned sagt, daß jedes einzelne Stück eines Tages Wurzeln treiben und eine eigenständige neue Pflanze wird. Wir müssen bei jedem Schritt aufpassen, nicht auf solch ein Teil zu treten. Leider kann man so ein Stück Teddybär nicht einfach beiseite kicken, wenn es einem im Weg liegt. Ich habe das mal versucht, und der Kaktus stach sich im Stiefel fest. Als ich mich bückte, um ihn abzustreifen, waren meine Fingerspitzen sein nächstes Ziel. Hundert Nadeln stachen gleichzeitig auf mich ein. Es brannte wie Feuer. Ich schrie. Kein sonde r lich gelassenes Geschrei. Ned mußte den Kaktus wegbr e chen, er benutzte dazu zwei Zweige. Meine Finger bre n nen immer noch. Dunkle, winzige Pünktchen, die tief in mein Fleisch gebohrt sind. Ob sie wohl zu Entzündungen führen werden? Daneben findet man hier noch eine ganze Reihe anderer Kakteenarten: Kugelkaktus, Stachelfrucht und sechs oder sieben andere Arten, deren Namen noch nicht einmal Ned kennt. Und richtige Bäume mit Blättern und Dornen, Mesquiten und Akazien. Alle Pflanzen ve r halten sich feindlich. Faß mich nicht an, sagen sie, faß mich nicht an, oder es wird dir leid tun. Ich wünschte, ich könnte woanders sein. Aber wir laufen immer weiter. Ich würde Arizona für die Wüste Sahara hergeben und sogar noch halb New Mexico als Draufgabe. Wie lange noch? Wieviel heißer kann es noch werden? Scheiße. Scheiße. Scheiße. Scheiße.
„Heh! Seht mal, da!“ Eli deutet auf etwas. Links vom Weg, halb versteckt von einem gelben Chollatrieb: ein großer, runder Stein, so groß wie der Rumpf eines Ma n nes, ein dunkler, grober Stein, der sich in Gewebe und Zusammensetzung vom örtlichen schokoladenfarbigen Sandstein abhebt. Das muß schwarzer Vulkanfels sein, Basalt, Granit, Grünstein oder sonst was in der Richtung. Eli läßt sich davor nieder, hebt ein Stück Holz auf und schiebt den Kaktus herunter. „Seht ihr?“ sagte er. „Die Augen? Die Nase?“ Er hat recht. Große tiefe Augenhö h len lassen sich erkennen. Ein großes, dreieckiges, he r ausgemeißeltes Loch, die Nasenmuschel. Und direkt am Erdboden eine Reihe immenser Zähne, der Oberkiefer, der in die sandige Erde beißt.
Ein Schädel.
Er sieht aus, als sei er tausend Jahre alt. Wir entdec k ten Spuren von weiterer künstlerischer Bearbeitung, Brauendämme, Wangenknochen und andere Züge; aber an den meisten hat der Zahn der Zeit genagt. Trotzdem ein Schädel. Unverwechselbar ein Schädel. Ein Wegwe i ser, der uns sagt, daß das, was wir suchen, nicht mehr allzuweit den Weg hinab liegt – oder er warnt uns vie l leicht, daß hier die letzte Möglichkeit zum Umkehren sei. Eli bleibt eine ganze Weile stehen und untersucht den Schädel. Ned. Oliver. Beide davon fasziniert. Eine Wo l ke zieht über uns hinweg, taucht den Stein in Schatten und verändert unsere Sicht seiner Konturen; es sieht jetzt so aus, als hätten sich die leeren Augen mit Leben gefüllt und starrten uns an. Die Hitze wird zuviel für mich. Eli sagt: „Wahrscheinlich ist er präkolumbianisch. Sie haben ihn aus Mexiko mitgebracht, könnte ich mir vorstellen.“ Wir blicken nach vorn in den Hitzedunst. Drei große S a guaros, wie Säulen, versperren uns die Aussicht. Wir müssen zwischen ihnen hindurch. Und dahinter? Das eigentliche Schädelhaus. Zweifellos. Unvermittelt frage ich mich, was ich überhaupt hier mache, wie ich mich überhaupt jemals diesem Irrwitz anschließen konnte. Was zuerst wie ein Scherz aussah, wie ein Jux, scheint jetzt plötzlich allen real geworden zu sein.
Niemals sterben müssen. Oh, was für eine Scheiße! Wie soll so etwas denn möglich sein. Wir werden Tage damit verschwenden, das herauszufinden. Die Abenteuer von Mondsüchtigen. Schädel auf der Straße. Kakteen. Hitze. Durst. Zwei müssen sterben, wenn zwei leben wollen. Der ganze mystische Quatsch, den Eli von sich gab, hat sich für mich in dieser Halbkugel aus grobem schwarzem Gestein summiert, die so fest, so unüberse h bar dort liegt. Ich habe mich einer Sache angeschlossen, die jenseits meines Horizonts liegt, und in ihr können große Gefahren für mich liegen. Aber von jetzt an gibt es kein Zurück mehr.
22. KAPITEL
Eli
Und wenn dort gar kein Schädelhaus liegt? Und wenn wir am Ende
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