Bruderschaft der Unsterblichen
gungen aus dem Fruchtboden entfernt werden. Einen Sündenbock töten wir, und der andere Sündenbock bringt sich selbst aus dem Spiel, im wörtlichen Sinn oder sonstwie, und was unter dem Strich dabei herauskommt, sind zwei frischgebackene Brüder, die ohne die vom mangelbehafteten Duo geborene Todesbedrohung sind. Abgesehen davon, daß wir unsere Gruppe als Ganzes reinigen müssen, bedarf auch unsere eigene Innenwelt einer Reinigung. Letzte Nacht besuchte mich nach dem Abendessen Bruder Javier in meinem Zimmer, und ich nehme an, daß er auch die anderen besucht hat. Er erklä r te mir, daß ich mich auf die Beichtriten vorbereiten solle. Ich möge mein ganzes Leben rückbeschauen und dabei besonderes Gewicht auf die Episoden legen, für die ich mich besonders schuldig fühlte und schämte, und ich möge bereit sein, über diese verdrängten Episoden zu sprechen, wenn man mich danach fragte. Ich schätze, daß eine Art Selbsterfahrungsgruppe in Kürze ins Leben g e rufen werden soll, angeführt von Bruder Javier. Oh, er ist ein schrecklicher Mann: graue Augen, dünne Lippen, ein feingeschnittenes Gesicht. Zugänglich wie ein Felsblock. Wenn er durch die Gänge läuft, meine ich immer, in se i ner Begleitung dunkle, grollende Musik zu hören. Tritt herein, großmächtiger Inquisitor! Jawohl, Bruder Javier, der großmächtige Inquisitor. Nacht und Kühle; Nebel und Schmerz. Wann beginnt das Inquisitionsverhör? Was soll ich sagen? Welche meiner Schuldtaten soll ich auf den Altar legen, welche meiner Peinlichkeiten?
Ich denke mir, daß der Zweck dieses Herzausschüttens darin liegt, unsere Seelen zu entlasten durch das Aufg e ben von – ja, wovon, wie soll ich es nennen? Neurosen, Sünden, mentalen Sperren, tiefverborgenen Alpträumen, Engrammen, Schicksalsschlägen? Wir müssen uns selbst beschneiden, alles Übel abkratzen. Fleisch und Knochen dürfen wir belassen, aber der Geist muß beschnitten we r den. Wir müssen einen Zustand des inneren Friedens a n streben, in dem es keine Konflikte und keinen Streß mehr gibt. Meide alles, was dir gegen den Strich geht, wenn nötig, arrangiere den Strich neu. Taten ohne Belastung, das ist der Trick. Keine Energieverschwendungen sind mehr erlaubt; Schwierigkeiten verkürzen das Leben. Nun, wir werden sehen. Ich trage eine ganze Menge ps y chischen Unrats mit mir herum, das tun wir alle. Ein ps y chologisches Klistier könnte da ganz nützlich sein.
Aber was soll ich dir erzählen, Bruder Javier?
32. KAPITEL
Ned
Überdenke dein Leben, erklärt der geheimnisvolle und en t fernt reptilienhafte Bruder Javier, als er meine Klosterzelle, ohne sich anzukündigen, betritt, und mit ihm erscheint das schwach zischende Rascheln von Hülsen auf Stein. Schau auf dein Leben zurück, gestehe die Sünden deiner Verga n genheit, mach dich zur Beichte bereit. Recht so, schreit Ned, der verderbte Chorknabe! Recht so, Bruder Javier, kichert der gefallene Katholik! Das ist ganz im Sinn seiner wohlgeschmierten Vorstellungsstraßen. Das Ritual der Beichte ist ganz genau etwas, das er erfassen kann: In se i nen Genen liegt es als Kode, auf seinen Knochen und Eiern steht es aufgedruckt, es ist eine zutiefst natürliche Sache für ihn. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa. Wohing e gen das Kabinett der Wahrheit den anderen fremd ist: dem gestandenen Israeliten und den beiden protestantischen Ochsen. Oh, nun, ich vermute, auch bei den Anglikanern gibt es wahrscheinlich den Beichtbrauch, heimliche R ö misch-Katholische, die sie sind, aber sie erzählen ihren Priestern nur Lügen. Ich kann das Wort meiner Mutter zum Zeugen berufen, die immer meinte, das Fleisch eines A n glikaners tauge noch nicht einmal, um an Schweine verfü t tert zu werden. Aber Mutter, sage ich, Schweine fressen doch überhaupt kein Fleisch. Wenn sie es täten, sagte sie, würden sie einen Anglikaner nicht anrühren! Sie brechen jedes Gebot und belügen ihre Priester, sagte sie und b e kreuzigte sich: vier wilde Stöße, om mani padme hum!
Ned ist gehorsam. Ned ist ein lieber kleiner Junge. Bruder Javier gibt ihm den Befehl, und Ned beginnt u n verzüglich damit, sein vergeudetes Leben Revue passi e ren zu lassen, so daß er alles aus sich für die richtige G e legenheit herausströmen lassen kann. Welche Sünden habe ich begangen? Wo habe ich gefehlt? Sag’s mir, Neddy-Junge, hast du andere Götter neben Ihm gehabt? Nein, Sir, es ist die Wahrheit, wenn ich sage, daß ich das nicht hatte. Hast du dir selbst Götzenbilder
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