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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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und in dieser Stadt. Meine Eltern hätten damals weggehen können. Spätestens nach dem Fall der Mauer hätten sie irgendwo neu anfangen können, in jeder beliebigen kleinen Ortschaft mit einem Ärztemangel. Aber sie blieben hier und veränderten nichts. Wenn ich es richtig bedachte, glich das Haus einem Mausoleum. Doch wenn Eddie Charles erschossen hatte, dann, so wurde mir nun klar, hatte sie sich selbst in lebenslange Geiselhaft genommen.
    Ich schob die Gedanken beiseite. Meine Mutter war tot, und jetzt ging es um uns, die Lebenden. Ich nahm Leos Foto und stopfte es in Eddies Kommodenfach unter ihre Wäsche. Wenn das hier alles vorbei war, würde ich große blaue Plastiksäcke kaufen und ihre Sachen aussortieren.
    Dann schlich ich zurück zur Tür, verließ das Zimmer und atmete erleichtert auf, als ich endlich auf meinem Bett lag.
    Ich stellte den Wecker auf eins. Nur zur Vorsicht. Ich hatte nicht vor einzuschlafen. Ich wäre nach zwei, drei Stunden Schlaf nur wie gerädert.
    Ich las im Schein der Nachttischlampe in Roberts Unterlagen noch einmal nach, was Cornelius mir bereits über Margo erzählt hatte. Die Worte verschwammen ein ums andere Mal, und ich las denselben Absatz wieder und wieder, nur um sofort zu vergessen, was ich gelesen hatte.
    Ich nahm mein Laptop und loggte mich ins Internet und dann in meinen E-Mail-Account ein. Manchmal benutzte ihn Max, um mit seinen Freunden zu mailen. Ich fragte mich, wie Leo Max getroffen hatte, wie sie miteinander kommuniziert hatten, wie gut sie einander kannten, ob sie sich jemals gesehen hatten. Ich fragte mich, ob es Max gewesen war, der Leo über Eddies Tod informiert hatte. Ich fragte mich, was ich noch so alles nicht über meinen Sohn wusste, von dem ich noch vor zwei Stunden behauptet hätte, er hätte keine Geheimnisse vor mir. Jedenfalls keine wichtigen.
    Ich schlich zu Max ins Dachzimmer hoch, suchte leise seinen Schulranzen und schleppte ihn hinunter. In meinem Zimmer schüttete ich ihn aus und kontrollierte seine Stiftmappe, seine Hefte, seine Bücher. Ich suchte nach einem Passwort, einer Mailadresse. Nach irgendetwas, das mir verriet, ob mein Sohn irgendwo einen E-Mail-Account auf meinen Namen angelegt hatte mit einer anonymen Adresse.
    Ich fand nichts, was mir weiterhalf. Es beruhigte mich nicht, doch immerhin kehrten nach dieser Pause meine Lebensgeister zurück. Vielleicht war auch nur mein Blutdruck aus seinem Kellerloch emporgestiegen, weil ich mich bewegt hatte.
    Jedenfalls las ich Roberts Unterlagen diesmal konzentrierter. Ich fand nichts, was Cornelius nicht erwähnt hatte. Dann las ich die Namensliste der Jugendlichen, die mit Leo und Konrad inhaftiert gewesen waren. Sie waren alphabetisch geordnet. Fast hätte ich den Namen überlesen.
    Doch da stand er: Siegfried Meier. Vor Schreck erstarrte ich. Siggi Meier. Ich konnte kaum atmen. Der Mann vor Margos Haus. Er war mit Konrad und Leo im Jugendwerkhof gewesen. Ich war mir sicher, dass er nicht zufällig in unserer Straße wohnte. Thor und Konrad Langhoff kauften ab und an marode Altbauten auf, sanierten sie und vermieteten sie dann. Ich hätte zu gerne gewusst, ob das Haus, in dem Siggi wohnte, den Langhoffs gehörte. Der Gedanke erschien mir so ungehörig, dass ich die Liste erst einmal neben mich aufs Bett legte, sie dann doch wieder in die Hand nahm, draufstarrte und mein Handy zückte, um Cornelius mitten in der Nacht eine SMS zu schicken. Robert sollte herausfinden, ob Siggi Meier für Konrad arbeitete und ob das Haus neben Margos den Langhoffs gehörte.
    Und dann begann ich – zum wievielten Mal eigentlich? –Koslowskis Unterlagen erneut zu durchforsten. Ich studierte die Seiten zum Mord an Claudia Langhoff, Koslowskis erste Vernehmung durch Kortner, Koslowskis Aussagen später im Gerichtsverfahren, Kortners Aussagen vor Gericht. Ich las die Berichte der Spurensicherung, den Obduktionsbefund und malte ein Zeitschema auf ein Din-A4-Blatt. Ich las, was Claudias Mutter Henny, ihr Vater Thor, Konrad und andere Zeugen ausgesagt hatten.
    Am Nachmittag vor ihrem Verschwinden hatte Leo mit Claudia Schluss gemacht, und sie hatte sich kreuzunglücklich in ihrem Zimmer eingeschlossen.
    Am Tag ihres Todes hatte Henny sie morgens um vier mit verquollenen Augen in der Küche getroffen. Henny hatte mit ihr einen Kaffee getrunken und sich danach noch einmal hingelegt. Gegen acht war Claudia zum Schwimmen ins Freibad gefahren, wie sie es bei schönem Wetter den ganzen Sommer über getan hatte. Sie kehrte

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