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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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ehrgeizig. Mit zehn trat er in den Judoverein ein, und nur zwei Jahre später wurde er in seiner Altersklasse das erste Mal Vizemeister der DDR.
    Es sprach sich herum, und jeder ließ von Lauren ab, sobald Hinner erschien. Später dann schlug er zu, was einem Judoka satzungsgemäß verboten war. Hinner kümmerte es nicht, und Paul, der Stiefvater, den er so hasste, räumte hinter ihm die Scherben auf. Jedenfalls erzählte man sich das. Wenn Hinner wieder mal jemanden geschlagen hatte, tauchte Paul angeblich bei den Eltern auf, besorgte Baumaterial, Orangen, Einreisebewilligungen für die Verwandtschaft aus dem Westen, eine neue Küche. So etwas. Es kam wohl auf die Schwere der Verletzungen an.
    Mein Vater behauptete früher, die Gang wäre Hinners Idee gewesen, und Hinner hätte einen schlechten Einfluss auf Leo ausgeübt. Mir war das schon damals zu einfach. Leo hatte die Gang mindestens ebenso gewollt wie sein Kumpel Hinner. Charles war eher der Mitläufer gewesen, ebenso wie Konrad.
    Leo und Hinner waren einander in manchem ähnlich. Sie fühlten sich unschlagbar, glaubten an das Recht des Stärkeren und dass sie schlauer waren als alle anderen. Vor allem aber kannte ihre Aggressivität kaum Hemmungen und hatte nur ein Ziel: zu siegen. Heute war Hinner stellvertretender Bürgermeister. Ich vermutete, es war nur das Sprungbrett zum Bürgermeisteramt – und später dann in die Landespolitik. Hinner war auf einem kalkulierten Siegeszug. Alles andere würde auch nicht zu ihm passen.
    »Rita«, sagte Cornelius in unser Schweigen. »Erinnerst du dich noch an sie? Sie ging mit Leo und Hinner in eine Klasse.«
    »Rita und Leo haben mal rumgeknutscht.«
    Er schüttelte den Kopf. »Das meine ich nicht.«
    »Sondern?«
    »Lass mich mal telefonieren, okay?«
    Ich zuckte mit den Achseln, er zückte sein iPhone und drückte auf eine Taste.
    »Hey, Liebilein.«
    Liebilein? Ich dachte, ich hätte mich verhört. Ich sprang vom Bett auf und verzog mich eilig ins Badezimmer. Solchen Telefonaten musste ich nicht lauschen. Das ging zu weit.
    Als ich zurückkam, hatte er bereits aufgelegt.
    »Liebilein, was?«, fragte ich.
    »Wir hatten mal was zusammen. Ist eine Ewigkeit her.«
    »Wie lange ist Ewigkeit bei dir?«
    »Sie lässt sich gerade scheiden«, sagte er. »Ich hab sie nur ein bisschen getröstet.«
    Ich stieg über ihn hinweg auf meine Bettseite, und er fasste nach meinem Arm.
    »Und? Ist sie heiß und sexy?« Ich zog meinen Arm weg.
    »Ach herrje«, sagte Cornelius. »Sie ist lustig. Sie bringt mich zum Lachen …«
    »… Überspring den Teil, wo sie dich durch Lachen nötigt und du sie gegen deinen Willen ranlässt«, unterbrach ich ihn.
    »Sie ranlässt«, wiederholte er und drehte sich zu mir, so dass sein Körper mir ganz zugewandt war.
    »Mit welchem deiner Sprüche hast du sie rumgekriegt?«
    »Schau mir in die Augen, Kleines?« Seine hellblauen Augen mit den dunklen Sprengseln richteten sich auf meine. Ein Blick, der Straßenzüge erleuchtete. Mein Schulfreund Conny in Hochform.
    »Uralt«, sagte ich. »Der hat bei mir schon in der Schule nicht gezündet.«
    »Du riechst wie Himbeermarmelade?«
    »Gott im Himmel! Das war in der ersten Klasse. Du bist hinter mir durch die Schultür gegangen und hast versucht, deine Nase in meinen Pferdeschwanz zu stecken.«
    »Dazu sage ich jetzt nichts«, sagte Cornelius. Ich schlug ihm auf den Unterarm.
    »Julie?«
    »Hm?«
    »Du warst die Erste.«
    »Die Erste von was?«
    Er rückte ein wenig näher. »Du warst meine erste große Liebe.« Der treue Blick eines Huskys. Er ließ wirklich nichts aus.
    »Ach, Conny«, sagte ich und musste gegen meinen Willen lachen. »Wir waren sechs Jahre alt.«
    »Sieben. Ich war sieben, als ich eingeschult wurde. Und ich habe jede Stunde gezählt, bis ich dich wiedersehe.«
    »In der ersten Klasse konntest du zählen?«
    »Ich konnte schon vorher rechnen.«
    »Aha.«
    »Ich habe Jahre gebraucht, um über dich hinwegzukommen.«
    »Du warst mit … wie hieß sie doch gleich, das Mädchen aus der Parallelklasse?«
    »Lizzie«, sagte er. »Und das auch nur, weil du mit Charles …«
    Der Kindheitszauber verflog. »Hör jetzt auf«, sagte ich. »Wir haben über Laurens Vergewaltigung gesprochen.«
    »Lass Charles endlich gehen«, sagte er.
    »Wieso willst du immer mein Therapeut sein?«, fuhr ich ihn an.
    »Will ich nicht«, sagte er. »Ich will dein bester Freund sein, und ich finde, du lachst viel zu wenig, okay? Und du solltest dich nicht mit solchem

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