Bruderschatten
einer Diskothek als Türsteher gearbeitet.
»Sie kennen Margo?«, fragte ich.
Der Mann verzog den Mund zu einem Lächeln und zeigte mit dem Arm auf das Nachbargrundstück. »Ich wohn da.«
»Ich muss mit Margo reden«, sagte ich. »Und ich weiß, dass sie da ist.«
»’ne Freundin von Ihnen?«
Es gab keinen Grund, ihm zu erklären, wer ich war, also gab ich nur ein knappes Ja zur Antwort.
»Ganz schönes Kommen und Gehen hier«, sagte er. »Normalerweise kriegt sie keinen Besuch, aber Sie sind jetzt schon die Dritte in drei Tagen. Aber ich pass ja auf.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich glaub nicht, dass Sie ’ne Freundin sind.«
»Eine von früher«, sagte ich.
»Nee, nee«, sagte er. »Sie hat keine.«
Ich zückte meinen Presseausweis und hielt ihm den unter die Nase. Manchmal half es. Diesmal nicht.
»Sehen Sie? Keine Freundin. Hab ich ja gesagt«, meinte er.
»Ich muss da rein.«
»Springt Geld raus?«
»Kommt drauf an.« Doch kein Türsteher. Wahrscheinlich war er arbeitslos.
»Margo hatte gestern Abend einen Asthmaanfall«, sagte er, »dann bleibt sie am nächsten Tag meistens im Bett.«
»In ihrem Alter ist ein Anfall nicht ungefährlich«, gab ich zu bedenken.
»Weiß ich auch«, sagte er.
»Wir sollten nachsehen«, sagte ich. »Wer weiß, weshalb sie nicht öffnet.«
»Auf dem Türrahmen liegt ein Ersatzschlüssel. Aber wenn ich Sie mit reinlass, kostet das.«
Der Schlüssel. Er hatte dort schon immer gelegen, weil Margo Angst hatte, bei einem Anfall nicht mehr fähig zu sein, dem Arzt oder jemand anderem die Tür zu öffnen. Ich hätte auch von allein darauf kommen können.
»Zwanzig«, sagte ich. »Kriegen Sie danach.« Los, dachte ich ungeduldig, mach hin.
»Kann jeder sagen. Jetzt oder gar nicht.«
Ich streckte ihm meine Hand entgegen. »Schlagen Sie schon ein. Ich wohne fünf Minuten von hier. Ich bin Eddies und Adams Tochter.«
»Kenn ich nicht«, sagte er.
Meine Güte, wie lange wollte er es noch hinauszögern? »Wie lange wohnen Sie hier?«
»Paar Jahre«, sagte er, und man sah ihm an, dass er sich unbehaglich fühlte. Es hatte keinen Sinn nachzubohren.
»Ich muss das Geld nachher nur holen.«
Widerstrebend reichte er mir seine schwielige Hand. Wir blickten einander in die Augen.
Die Situation erinnerte mich an meine Kindheit, als Leo mit Hinner, Konrad und Charles die Gang gegründet und sie einen Pakt geschlossen hatten, dass sie einander niemals verrieten. Alle vier hatten in die Hände gespuckt, sie sich gereicht und sich geschworen, dass dieses Versprechen bis in den Tod galt. Zumindest für einen von ihnen hatte es bis in den Tod gegolten.
Ich schüttelte seine Hand, zog meine aus der Umklammerung und tastete dann den schmalen Mauervorsprung über der Tür ab. Ich stieß den Schlüssel an, er fiel auf den Abtreter, wo er vor meinen Füßen liegenblieb.
Ich hob ihn auf, steckte ihn ins Schloss, drehte ihn herum. Ich stieß die Tür auf, und warme Luft strömte mir entgegen. Es roch nach Vergangenheit, nach altem Haus, ein wenig nach morschem Holz, gemischt mit dem Geruch von Reinigungsmitteln, Bohnerwachs und nach etwas, das ich nicht definieren konnte.
Ich lauschte auf ein Geräusch.
Nichts.
»Lassen Sie mich mal«, sagte Siggi, drängte sich an mir vorbei und stieß die Tür weiter auf. Ein dumpfes Ploppen erklang, als die Tür gegen etwas stieß.
»Margo? Sind Sie da?« Er zog seine Stiefel aus wie ein gut erzogener Junge und betrat die Küche.
»Wie heißen Sie eigentlich?«, fragte ich.
»Meier, Siggi. Siggi reicht«, sagte er, schaltete das Licht ein und blieb an der Tür stehen.
Der Name sagte mir nichts.
Ich schob mich an ihm vorbei in die Küche.
Die Küche war ein Chaos. Der Gasherd lag umgestoßen in der Ecke, die Türen sämtlicher Schränke waren aufgerissen, der Inhalt lag auf dem Boden verstreut.
»Margo?«, rief ich.
Keine Antwort.
Vorsichtig durchschritten wir das Chaos und betraten das Wohnzimmer, das sich an die Küche anschloss. Polster waren aufgeschlitzt, Möbel umgestoßen, Schrankschubläden aufgerissen und durchwühlt. Die Luft war trocken und abgestanden, und es war viel zu warm.
Margo saß in ihrem Fernsehsessel aus beigebraunem Plüsch neben dem Couchtisch. Eine Hand lag auf der Lehne, die andere in ihrem Schoß. Ihr Kopf hing schlaff herunter.
Ich schloss die Augen. Mein Herzschlag beschleunigte sich, und ich wünschte, ich sähe mich einem Trugbild gegenüber, das verschwand, wenn ich es ignorierte.
»Scheiße!«, sagte
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