Bruderschatten
beifallheischend an. »Das kostet fünf Euro.«
Max nickte vergnügt.
»Teures Vergnügen«, sagte Robert und legte auf.
»Wieso fünf Euro?«, fragte ich.
»Papa muss bei Oma und Opa jedes Mal fünf Euro bezahlen, wenn er das Wort sagt.«
»Und du?«
»Ich sag’s ja nicht.«
Max schob seine geöffnete Hand zwischen den Sitzlehnen zu mir nach vorn.
»Später«, sagte ich und schlug leicht auf seine Handfläche. Die Hand verschwand, und die Jungs steckten die Köpfe zusammen und flüsterten aufgeregt. Wahrscheinlich verteilten sie gerade den Erlös ihrer Dreistigkeit auf Popcorn im Kino, Eis und McNuggets.
Zu Hause lümmelten sich die Jungen wieder wie selbstverständlich mit ihrer Wii-Konsole auf die Couch. Sie griffen nach den Freihand-Controllern und entschieden sich diesmal gegen Mario Kart und für Zelda , was auf einen ruhigeren Nachmittag hoffen ließ.
Mein Vater saß in der Küche und las die Sonntagszeitung.
Ohne Einleitung fragte ich, weshalb er mir verschwiegen hatte, dass Nora Schnitter Eddie besucht hatte. Ich stand vor dem Küchenschrank, und er sah mich an, als hätte ich ihn geschlagen. Seine Augen blickten traurig aus tiefen Höhlen, und weißgraue Bartstoppeln überzogen die fahle Haut seiner Wangen.
Er versuchte erst sich herauszureden und mich dann abzulenken mit der Frage, woher ich von dem Besuch wüsste.
Ich wiederholte meine Frage.
Eine innere Unruhe zwang ihn aufzustehen.
»Ich habe vor zwei Tagen zum ersten Mal von dieser jungen Frau gehört, die ermordet wurde. Ich habe keine Verbindung zu Eddies Gast hergestellt, wirklich nicht.«
Während er sprach, ging er zum Küchenschrank, nahm ein Glas, ging zum Spülbecken und füllte es mit Leitungswasser.
»Lauren schickt eine junge Frau zu Eddie. Ein paar Tage später wird eine junge Frau ermordet. Eine Frau, die du noch nie in Solthaven gesehen und von der du noch nie gehört hast. Und du stellst keine Verbindung her?«
»Ich sage es nur ungern«, sagte mein Vater und drehte sich mit dem Glas in der Hand in meine Richtung, »aber vielleicht könntest du respektieren, dass ich um deine Mutter trauere? Dass ich mich frage, ob ich dieses verfluchte Haus mit all seinen verfluchten Erinnerungen nicht endlich aufgebe und wegziehe, jetzt, wo sie tot ist? Dass ich einfach müde bin? Ausgelaugt? Kaputt? Dass ich mich vor einem Umzug fürchte? Dass ich schon vor über zwanzig Jahren hier wegwollte, doch Eddie das Haus um nichts in der Welt aufgeben wollte? Dass ich nicht weiß, was dein Bruder hier will? Dass ich nicht mehr weiß, was richtig und falsch ist? Dass ich nicht weiß, wie es weitergehen soll? Dass ich mir wünsche, ich müsste mir solche Fragen in meinem Alter nicht stellen?«
Er hatte sich in Rage geredet. Mein Vater, den nichts so leicht aus dem Gleichgewicht brachte.
Er machte eine Pause und trank Wasser. Ich beobachtete ihn, wie er langsam und mit kleinen Schlucken gegen seine Aufregung antrank. Tränen traten mir in die Augen. Ich ging zu ihm und nahm ihn in die Arme. Er wurde ganz steif, als ich seinen Rücken streichelte.
»Es tut mir leid«, sagte ich. »Es tut mir alles so leid.«
Er schob mich ein Stück weg, eine graue Strähne hing in seiner Stirn.
»Mir tut auch leid, dass eine so junge Frau ermordet wurde«, antwortete er. »Aber ich habe keine Sekunde an sie gedacht.«
Er strich das Haar zurück. »Keine Sekunde.«
Dann ging er zum Fenster und starrte nach draußen in den Hof.
Ich ließ ihn allein und ging auf den Flur hinaus und zur Kellertür. Mein Puls war zu schnell, und ich fühlte mich unbehaglich. Doch es musste sein.
Ich drückte den kühlen Holzgriff herunter, machte Licht und stieg die Treppe hinab. Sie war zwar steil, glatt und schmal. Als meine Eltern das Haus vor 40 Jahren gekauft hatten, hatte mein Vater sie braunrot gestrichen. In der Mitte der Stufen war die Farbe abgetreten, und das helle Holz darunter war dunkler geworden.
Ich ging durch den vorderen Keller, in dem meine Mutter ihre Einmach- und Marmeladengläser in Holzregalen gestapelt hatte, die mein Vater selbst gebaut hatte. Rechts unter dem Kellerfenster stand Adams Werkbank, eine vom häufigen Gebrauch heruntergekommene Kommode, auf die er eine große Platte geleimt hatte und an der eine Schraubzwinge klemmte. In einer Ecke stand Eddies Gewehrschrank. Sie war eine begeisterte Jägerin gewesen, und jedes Jahr zu Weihnachten aßen wir Reh. Von Eddie eigenhändig geschossen und zerlegt und von meinem Vater gewürzt, angebraten
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