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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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stand auf und
    nickte mir zu. Kizzy reichte ihm kaum bis zum Hosenbund.
    Ich schnappte mir Notizbuch und Bleistift und eilte hinter den beiden her, mein Herz war gesattelt und lief Galopp. An der
    Treppe ließ Kizzy uns vorbei. Wir rannten die beiden Treppen
    ins Foyer hinunter, wo an der Wand das Kasten-und-Gabel-
    Telefon hing. Jumbo mußte sich bücken, um damit zu Rande
    zu kommen. (Kizzy mußte den Schemel benutzt haben.)
    »Mrs. Boles, ich bin Henry Clerval, der Zimmergenosse Ihres
    Sohnes«, sagte Jumbo in die Sprechmuschel. »Daniel geht es
    gut.«
    Sag ihr, daß ich Laringitus hob, kritzelte ich in mein Notizbuch.
    »Nur – es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen – er hat sich einen ernsten Fall von Laryngitis zugezogen«, fuhr Jumbo
    fort. »Ansonsten stellt er uns alle mit seiner Kraft und Vitalität in den Schatten.«
    Kizzy bedachte uns beide mit einem spöttischen Seitenblick
    und stolzierte in die Küche zurück, wobei sie die Arme wie ein
    ∗
    Munchkin schwang. Der Clubraum war verwaist. Die meisten,
    die hier logierten, waren zum McKissic Field, um sich ein
    lokales Softball-Spiel* anzusehen.
    Ich schrieb: Sag, das es vorübergeht. Sag, daß ich zuviel Hurra gerufen hob.

    ∗ Die Munchkins sind ein seltsames, kleinwüchsiges Völkchen in The Wonderful Wizard of Oz.

    »Ja, Ma’am. Wir haben das letzte Spiel von einer ansonsten
    wenig erfolgreichen Tour gewonnen. Daniel hat gut gespielt.«
    Er deckte die Sprechmuschel ab. »Wieso… warum diese
    Lüge? Warum nicht die Wahrheit?«
    Sonst regt sie sich auf, schrieb ich. Sonst will sie noch kommen.
    »Wann?« sagte Jumbo. »Na ja, vor kurzem erst.« Er deckte
    die Sprechmuschel wieder ab. »Unter dem Aspekt der
    Unsterblichkeit«, beschwor er mich, dann sprach er wieder in
    die Muschel. »Ja, Ma’am, er trainiert hart, ißt tüchtig und
    schläft genug.«
    Mama sagte etwas.
    »Ja, Ma’am, viel Schlaf. Ganz viel.«
    Ich hielt ihm das Notizbuch hin: Sag, daß ich sie später
    anrufe, daß ich einen Brief schreibe. Letzteres war die lautere Wahrheit. Niemand sollte mich einen gleichgültigen Sohn
    schimpfen.
    Die Sprechmuschel erstickte in Jumbos Faust. »Sie möchte
    mir dir reden.« Ich schüttelte den Kopf. Jumbos Blick war wie
    eine Ohrfeige. »Ja, Ma’am, hören kann er. Nein, keine
    Infektion. Keine Ohrenschmerzen. Augenblick.« Er gab mir
    das trichterförmige Hörteil. Statisches Rauschen, rauhe
    elektrische Brandung.
    »Danny?« sagte Mama Hunderte von Meilen entfernt.
    »Danny?«
    Jumbo bückte sich an die tulpenförmige Sprechmuschel. »Er
    hört Ihnen zu, Mrs. Boles.«
    »Danny…du fehlst mir… ich vermisse dich.«
    »Er sie auch, Mrs. Boles«, sagte Jumbo.
    »Danke, Mr. Clerver«, sagte Mama. »Danny, Colonel und Mrs. Elshtain wollen am Wochenende nach Highbridge
    kommen. Diesen Sonntag, am vierten. Sie wollen dich

    besuchen. Ich gebe Miss Tulipa eine Kleinigkeit mit. Denk dran.«
    »Ja, Ma’am«, sagte Jumbo. »Er wird es nicht vergessen.«
    »Tschö. Ich liebe dich. Mach’s gut. Tschö.« Mamas Stimme verlor sich im Kreischen und Geschnatter der Verbindung.
    Jumbo nahm mir die Hörmuschel ab und hängte sie in die
    Gabel. »Wer seine hingebungsvolle Mutter belügt, verliert die
    Achtung ehrlicher Menschen. Vielleicht hast du deine Gründe.
    Vielleicht nicht.«
    Und wenn nicht, schrieb ich, bin ich dann keine WIRKLICHE
    PERSON mehr???
    »Du sagst es.« Jumbo stapfte durchs Foyer zur Treppe, dann
    stieg er nach oben. Die Zwischenräume des Geländers
    erinnerten an die Bilder eines Filmstreifens – und Jumbo darin an die Kreatur in den Frankensteinfilmen.
    Jedenfalls wollte ich nicht nach oben – jetzt noch nicht. Er
    hatte mir zwar geholfen, aber er hatte mich auch der Lüge
    bezichtigt und stellte meinen Status als WIRKLICHE
    PERSON in Frage. Rutsch mir den Buckel runter, dachte ich.
    Gemächlich ging ich in die Küche, wo Kizzy an ihrem
    zentralen Arbeitsplatz stand und Teig für eine riesige
    Fruchtpastete mit Brombeeren und Himbeeren ausrollte.
    »Süß von deiner Mama, Danl. Klar, Mamas müssen sich Sorgen machen um ihre Kinder. Das ist angeboren wie beim
    Wachtelhund – er muß die Wachtel anzeigen, ob er will oder nicht.«
    Kizzy war länger geblieben. Das tat sie manchmal. Ich
    konnte mir das nur so erklären, daß sie sich (wenn sie keine
    Töpfe schrubben oder das Linoleum scheuern brauchte) in der
    Küche von McKissic House einfach heimischer fühlte als in
    der Vierzimmer-Schachtel aus Schindeln, Teerpappe

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