Brüchige Siege
stand auf und
nickte mir zu. Kizzy reichte ihm kaum bis zum Hosenbund.
Ich schnappte mir Notizbuch und Bleistift und eilte hinter den beiden her, mein Herz war gesattelt und lief Galopp. An der
Treppe ließ Kizzy uns vorbei. Wir rannten die beiden Treppen
ins Foyer hinunter, wo an der Wand das Kasten-und-Gabel-
Telefon hing. Jumbo mußte sich bücken, um damit zu Rande
zu kommen. (Kizzy mußte den Schemel benutzt haben.)
»Mrs. Boles, ich bin Henry Clerval, der Zimmergenosse Ihres
Sohnes«, sagte Jumbo in die Sprechmuschel. »Daniel geht es
gut.«
Sag ihr, daß ich Laringitus hob, kritzelte ich in mein Notizbuch.
»Nur – es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen – er hat sich einen ernsten Fall von Laryngitis zugezogen«, fuhr Jumbo
fort. »Ansonsten stellt er uns alle mit seiner Kraft und Vitalität in den Schatten.«
Kizzy bedachte uns beide mit einem spöttischen Seitenblick
und stolzierte in die Küche zurück, wobei sie die Arme wie ein
∗
Munchkin schwang. Der Clubraum war verwaist. Die meisten,
die hier logierten, waren zum McKissic Field, um sich ein
lokales Softball-Spiel* anzusehen.
Ich schrieb: Sag, das es vorübergeht. Sag, daß ich zuviel Hurra gerufen hob.
∗ Die Munchkins sind ein seltsames, kleinwüchsiges Völkchen in The Wonderful Wizard of Oz.
»Ja, Ma’am. Wir haben das letzte Spiel von einer ansonsten
wenig erfolgreichen Tour gewonnen. Daniel hat gut gespielt.«
Er deckte die Sprechmuschel ab. »Wieso… warum diese
Lüge? Warum nicht die Wahrheit?«
Sonst regt sie sich auf, schrieb ich. Sonst will sie noch kommen.
»Wann?« sagte Jumbo. »Na ja, vor kurzem erst.« Er deckte
die Sprechmuschel wieder ab. »Unter dem Aspekt der
Unsterblichkeit«, beschwor er mich, dann sprach er wieder in
die Muschel. »Ja, Ma’am, er trainiert hart, ißt tüchtig und
schläft genug.«
Mama sagte etwas.
»Ja, Ma’am, viel Schlaf. Ganz viel.«
Ich hielt ihm das Notizbuch hin: Sag, daß ich sie später
anrufe, daß ich einen Brief schreibe. Letzteres war die lautere Wahrheit. Niemand sollte mich einen gleichgültigen Sohn
schimpfen.
Die Sprechmuschel erstickte in Jumbos Faust. »Sie möchte
mir dir reden.« Ich schüttelte den Kopf. Jumbos Blick war wie
eine Ohrfeige. »Ja, Ma’am, hören kann er. Nein, keine
Infektion. Keine Ohrenschmerzen. Augenblick.« Er gab mir
das trichterförmige Hörteil. Statisches Rauschen, rauhe
elektrische Brandung.
»Danny?« sagte Mama Hunderte von Meilen entfernt.
»Danny?«
Jumbo bückte sich an die tulpenförmige Sprechmuschel. »Er
hört Ihnen zu, Mrs. Boles.«
»Danny…du fehlst mir… ich vermisse dich.«
»Er sie auch, Mrs. Boles«, sagte Jumbo.
»Danke, Mr. Clerver«, sagte Mama. »Danny, Colonel und Mrs. Elshtain wollen am Wochenende nach Highbridge
kommen. Diesen Sonntag, am vierten. Sie wollen dich
besuchen. Ich gebe Miss Tulipa eine Kleinigkeit mit. Denk dran.«
»Ja, Ma’am«, sagte Jumbo. »Er wird es nicht vergessen.«
»Tschö. Ich liebe dich. Mach’s gut. Tschö.« Mamas Stimme verlor sich im Kreischen und Geschnatter der Verbindung.
Jumbo nahm mir die Hörmuschel ab und hängte sie in die
Gabel. »Wer seine hingebungsvolle Mutter belügt, verliert die
Achtung ehrlicher Menschen. Vielleicht hast du deine Gründe.
Vielleicht nicht.«
Und wenn nicht, schrieb ich, bin ich dann keine WIRKLICHE
PERSON mehr???
»Du sagst es.« Jumbo stapfte durchs Foyer zur Treppe, dann
stieg er nach oben. Die Zwischenräume des Geländers
erinnerten an die Bilder eines Filmstreifens – und Jumbo darin an die Kreatur in den Frankensteinfilmen.
Jedenfalls wollte ich nicht nach oben – jetzt noch nicht. Er
hatte mir zwar geholfen, aber er hatte mich auch der Lüge
bezichtigt und stellte meinen Status als WIRKLICHE
PERSON in Frage. Rutsch mir den Buckel runter, dachte ich.
Gemächlich ging ich in die Küche, wo Kizzy an ihrem
zentralen Arbeitsplatz stand und Teig für eine riesige
Fruchtpastete mit Brombeeren und Himbeeren ausrollte.
»Süß von deiner Mama, Danl. Klar, Mamas müssen sich Sorgen machen um ihre Kinder. Das ist angeboren wie beim
Wachtelhund – er muß die Wachtel anzeigen, ob er will oder nicht.«
Kizzy war länger geblieben. Das tat sie manchmal. Ich
konnte mir das nur so erklären, daß sie sich (wenn sie keine
Töpfe schrubben oder das Linoleum scheuern brauchte) in der
Küche von McKissic House einfach heimischer fühlte als in
der Vierzimmer-Schachtel aus Schindeln, Teerpappe
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