Brüchige Siege
trotz des Ärgers mit Hoey und Konsorten und
trotz eines Zimmergenossen, vor dem jeder Marinesoldat
erblassen würde – ich war dabei, mich anzupassen. Auch an
die komischen Rituale in McKissic House. An meine Rolle im
Team. Ich spielte gerne für die Hellbenders. Ich wollte nicht an die elend langen Schürzenzipfel von Ma und in das
stinklangweilige Staubloch von Oklahoma zurück. Ich liebte
Mama Laurel, keine Frage, doch ich hatte eben erst
angefangen, mich in der CVL zu behaupten – auf eigenen
Füßen zu stehen.
Während Jumbo über den öligen Splitt der Nebenstraßen von
Alabama walzte, gab es für mich nichts zu tun. Ein paar von
den Jungs gingen ihren Nebenjobs bei Foremost Forge oder Highbridge Box & Crate nach. Andere waren mit der Straßenbahn zu einer Matinee in die Stadt, und wer außer mir
noch hiergeblieben war, hatte sich aufs Ohr gelegt, spielte
Karten oder schrieb einen Brief. Ich hatte am Morgen erst
einen Brief an Ma abgeschickt. Und Kartenspielen ohne das
Zirpen von Grillen oder Tanzmusik im Hintergrund war so
verlockend wie ein Schluck Soda.
Ich stand von der Bettkante auf. Meine Hände hatten
Langeweile. Also zündete ich mir eine Zigarette an,
verschränkte die Arme vor der Brust und wippte von den
Absätzen auf die Schuhspitzen und wieder zurück. Wie der
Draufgänger in einem Gangsterfilm. Humphrey Bogart?
George Brent? Lloyd Nolan? Da hätte ich doch einem von
denen ähnlich sehen müssen, oder?
Wie von ungefähr kam ich dabei Jumbos Territorium Schritt
um Schritt näher: seinem monströsen Bett, dem Bücherregal
aus Kieferbrettern und Konservendosen, dem Waschtischchen
und dem Nachttisch mit der Leselampe. Ich stand da und paffte
meine Old Gold und beäugte all das Zeug. Die Bücherbretter hatte ich schon mal in Augenschein genommen. Neben neuen
Büchern aus der Bibliothek standen da Gedichte, Romane,
philosophische Werke, historische und religiöse Texte,
darunter viele alte Bücher und ein paar auf Französisch oder
Deutsch.
Ich schlenderte um das Bett herum, setzte mich vor das
Bücherregal und schlug ein französisches Buch auf, das eine
Frau namens Christine de Pisan* geschrieben hatte. Die Seiten
rochen wie getrocknete Käferflügel – staubig herb nämlich –
und nach saurer Tusche. Viel mehr als le und la und amour verstand ich nicht. Zwecklos. Ich klappte die alte Christine zu und stellte sie ins Regal zurück. Der Kuckuck weiß, warum ich
mich vorbeugte und zwischen meine Beine linste. Vielleicht
aus Langeweile oder Neugierde, jedenfalls war da irgendwas
mitten unter Jumbos Bett gepfercht. Es sah aus wie ein
schmales Einmannboot, ein Art Eskimo-Kanu.
Ja, ein Kajak!
Ich zerrte das rundherum mit Tierhaut bespannte Teil unter
dem doppelten Sperrholzboden heraus, auf dem Jumbo schlief.
Das Ding wollte nicht zwischen Bett und Regal passen. Ich
mußte es längs drehen und mich mit gespreizten Beinen
drüberstellen. Es hatte sich erstaunlich schwer bewegen lassen, wahrscheinlich weil Jumbo allerlei durch das Sitzloch
hineingepackt hatte. Die Flanken waren mit Schneehasenfellen
besetzt.
Das erste, was ich im Sitzraum fand, war die Matte, die er bis zu meinem Wutausbruch in LaGrange als Abteiler benutzt
hatte. Er hatte sie fünf- oder sechsmal gefaltet und wie einen Stöpsel in das Loch gestopft. Ich zog sie raus und spähte ins
Innere. Da kauerte ein schlapper Beutel aus Tierhäuten,
zugeschnürt mit Sehnen, an denen lauter Elfenbeinperlen
saßen. Er roch seltsam muffig, auf eine Weise, die ich nicht
beschreiben kann.
So sehr ich mich dagegen wehrte, dieser Beutel war eine
Herausforderung, eine Herausforderung nachzusehen, was drin
war. Das Kajak unter dem Bett herauszuziehen, war mir noch
wie verzeihliche Neugier vorgekommen, beim Herausnehmen
der zusammengefalteten Matte hatte sich bereits mein
Gewissen gemeldet, doch der Beutel war eine Versuchung, an
der sich die Geister schieden. Ich benahm mich wie ein
Schnüffler, und Ma hatte mich nicht dazu erzogen, meine Nase
in andrer Leute Sachen zu stecken. Lieber sollte ich mir Mühe
geben, Jumbos Zunge zu lockern als die Verschnürung dieses
Beutels; aber vielleicht war ja das eine dazu angetan, das
andere zu befördern.
In dem Beutel befand sich ein Tagebuch, der Ledereinband
war splissig und wolkig, hinter der letzten Seite steckte ein
Packen Briefe. Das Bündel war so dick wie ein dünnes Buch.
Ich besah es mir näher, aber ohne es aufzuknoten. Das
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