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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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für ungemein wichtig, um mir Jumbo mit Haut
    und Haaren einzuprägen, derweil meine krakelige Handschrift
    ihn wie einen Laborfrosch sezierte und zerpflückte…

    Als Hommage an den Kapitän des Handelsschiffes, der die
    Geschichte meines gepeinigten Schöpfers in ihrer Gänze zu
    Papier gebracht hat, will ich hier auf englisch von meinen letzten Tagen als sein Geschöpf berichten. Auch will ich von meinem neuen Leben nach einer überraschenden
    Wiedererweckung schreiben. Die englische Sprache kommt

    mir so zwanglos in den Sinn und von dort in die Hand, wie es die französische tut. Ob mein Gehirn früher einmal einem
    gebürtigen Briten gehört hat? Wie dem auch sei, ich trete mein neues Leben unter der erfrischenden geistigen Perspektive
    einer Sprache an, in der Marlowe, Shakespeare und Milton
    gedacht haben.
    Was ich, mein altes Leben betreffend, noch erinnere, ist
    ∗
    dies : Nach meiner Flucht von jenem Schiff, auf dem der
    Urheber meines Seins und zugleich Elends verblieben ist, fand ich nicht die Kraft, Frankenstein in den allesverschlingenden Abgrund zu folgen. Nein, ich durfte nicht töten, was er beseelt hatte. Wiewohl ich Walton bei unserer unbeabsichtigten
    Begegnung am Leichnam meines Vaters versprochen hatte,
    mich den Flammen zu überantworten, versuchte ich, Zeit zu
    gewinnen. Ich fand Ausflüchte, um meinen Leib zu erhalten, jene großartige, aus Fleischstücken zusammengesetzte Puppe, in der meine mit Angst und Pein befrachtete Seele über das Eis irrte; und nicht nur meine Seele, sondern auch mein Wissen.
    Während ich mir Zeit ließ, wurde das Wetter immer
    schlechter und stürmischer. Die Nordlichter verblaßten hinter einem Schleier aus treibenden Wolkenfetzen, die sich
    schließlich zu Granitfelsen ballten, aus denen Schnee wirbelte, der vom Sturm zum Blizzard entfacht wurde und das Meer in
    eine steinerne Falle verwandelte. Walton und seine
    Mannschaft konnten ihr Schiff nicht aus dem weißen Gefängnis befreien, und Sturm und Kälte blieben so unerbittlich, daß den Unglücklichen jedwede Hoffnung auf ein Entkommen schwand.
    Bis Mitte Oktober waren alle an Bord der Caliban tot –
    erfroren, verhungert oder erschlagen; vorher aber hatte
    Kapitän Walton sich hingesetzt und jeden nicht abgeschickten

    ∗ Siehe Frankenstein oder Der moderne Prometheus, letzter Teil Robert Walton setzt den Bericht fort (Übersetzung von Christian Barth).

    Brief an seine Schwester Wort für Wort abgeschrieben, als
    könne dieser Bienenfleiß ihn aufwärmen und zugleich die
    festsitzende Caliban aus dem Eis schmelzen.
    Während der Winter sich austobte, kauerte ich bei meinem
    Schlitten gegen die Elemente an. Ich sammelte die Hunde um mich. Rings um uns errichtete ich eine grobe aber
    einfallsreiche Festung aus Eis. In der schmerzhaften Helligkeit meiner Trutzburg, einer Kuppel auf dem ächzenden Packeis,
    verfolgte ich mitleidslos den Niedergang der Hunde, die durch die mißlichen Umstände und den Hunger so schrecklich
    verstört waren, daß sie einander anknurrten und bissen und wütend die Zähne bleckten. Um ein Massaker zu vermeiden,
    mußte ich die Anstifter erdrosseln, so wie ich jene Menschen erdrosselt hatte, die zu den Liebsten meines Schöpfers zählten.
    Trotz ihres schützenden Fells widerstanden die Hunde der
    Kälte nicht so gut wie ich, denn das Heulen des Sturms
    entfachte meinen Lebenswillen. In der Tat, der unablässig
    peitschende Schnee und die glitzernde Gänsehaut dieser
    Eiswüste bestärkten mich nur in meinem Entschluß zu leben.
    Indem Frankenstein mich aus blutleeren Leichenteilen
    zusammengesetzt hatte, hatte er mich, ohne es zu wollen, gegen den tödlichen Angriff der polaren Kälte gewappnet. Die Hunde hingegen litten unter ihr und fielen in schrecklichen
    Ausbrüchen von Wut und Gier übereinander her. Gewiß, als
    Nahrung bevorzugte ich Obst, Beeren und Nüsse, doch in eben diesen Tagen handelte ich meiner Vorliebe zuwider und aß das Fleisch eines meiner Tiere. Später verfütterte ich einen Teil des Fleisches an seine ausgehungerten Artgenossen.
    Als die Stürme abklangen, entließ ich die drei einzigen
    Hunde, die noch lebten, aus meiner Eishöhle und jagte sie mit Schreien und Drohgebärden über die Eiswüste. Sie verstanden nicht, warum ich sie vertrieb. Ein Hund versuchte sogar meine Zuneigung zurückzugewinnen, indem er buckelnd robbte und

    gewinnend mit dem Schwanz wedelte. Schließlich aber
    übertrug sich meine hartnäckige Feindseligkeit auf das Tier und seine

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