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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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vierbeinigen Kameraden; ein Hagel von
    Eisgeschossen bewog sie endlich, sich zurückzuziehen.
    Wenn ich schon nicht auf einem von mir errichteten
    Scheiterhaufen sterben wollte, dann konnte ich mir vielleicht das Leben nehmen, indem ich über die Eisschollen zum
    Nordpol wanderte. Im Gegensatz zu Walton hegte ich nicht die Erwartung, dort dem erquickenden Auge der Sonne zu
    begegnen, als vielmehr dem eines tobenden Zyklons, in dessen abgrundtiefer Kälte ich augenblicklich verlöschen würde. In der Hoffnung auf dieses Schicksal kehrte ich meiner Trutzburg den Rücken und brach in jene Richtung auf, von der ich
    annahm, daß sie die richtige war. Über mir loderte der
    Himmel wie ein unheilverkündender weißer Spiegel.
    Schließlich erspähte ich in der Ferne das müde Zelt aus
    Takelage und Segeln. Das Schiff, das dort im Eis gefangen saß, mußte die Caliban sein. Welches andere Schiff hatte sich zu dieser rauhen Jahreszeit so weit in die arktische Wüste
    vorgewagt? Ob mich der Wind in die Irre geführt hatte oder ein innerer Kompaß meine Schritte mir zum Hohne in die
    Richtung des hölzernen Mausoleums gelenkt hatte, in dem sich mein Schöpfer aufhielt, ich weiß es nicht? Ich wußte nur, daß ich meine unbeabsichtigte Route vollenden und an Bord gehen würde. Ich tat es mit einer Neugier, die stärker war als der abscheuliche Gedanke, mich erneut menschlicher
    Feindseligkeit auszusetzen.
    Ich hätte nicht zittern und zagen brauchen. Alle Menschen an Bord waren, wie ich bereits erwähnte, verhungert, erfroren oder durch die Hand eines anderen ums Leben gekommen. Die
    Caliban beherbergte nicht nur den Leichnam Frankensteins,
    sondern auch die Leichen von Walton und seiner Mannschaft.
    Ich betrat also ein Totenschiff, und nur der eisigen Kälte, die bekanntlich die Verwesung hinauszögert, war es zu verdanken, daß mich keinerlei Leichengeruch von meiner hastigen
    Inspektion des Schiffes abhielt.
    Frankenstein, sollte ich anmerken, schlief einen längeren
    Todesschlaf als jeder andere auf der Caliban. Ich hatte indes keinerlei Schwierigkeiten, ihn oder Walton wiederzuerkennen, denn an einem gewissen Punkt ihrer Zerreißprobe hatten die rachsüchtigsten Seeleute, wohl um die Leiber derjenigen
    anzuprangern, denen sie die volle Verantwortung für ihre
    mißliche Lage zuschrieben, die beiden Männer – der eine tot, der andere vermutlich noch am Leben – auf Deck geschleppt, wo sie die beiden Rücken an Rücken an den vorderen Mast
    gebunden hatten. Hier war Walton gestorben, so ausgerichtet, daß er machtlos mitansehen mußte, wie die Meuterei um sich griff. Mein Schöpfer dagegen war auf das öde Nordmeer
    ausgerichtet, mit Augen wie kleine gesprungene Glaskugeln
    und Lippen so silberblau wie geöltes Metall. Ich hatte
    gemordet, ja, aber noch nie hatte ich eine solche Verwüstung und ein solches Blutbad unter angeblich vernünftigen Wesen zu Gesicht bekommen, noch hatten Wind und Frost die
    schreckliche Melancholie, die über dieser Szene lag, gänzlich tilgen können. Hunde und Menschen hatten, wie mir schien,
    etwas gemeinsam – eine grausame Wildheit, die sich aus
    auswegloser Verzweiflung speiste.
    Mag sein, ich lachte.
    Ich erkundete Ober- und Unterdeck der Caliban. Nachdem
    ich das Bündel aus Briefen, die Walton an seine Schwester
    geschrieben hatte, und die Abschriften derselben eilig gelesen und an mich genommen hatte, kehrte ich an Deck zurück und
    schnitt den Urheber meiner grotesken Gestalt, die mich zum Aussätzigen gemacht hatte, vom Bugmast. Frankensteins Haut war dicht an die Knochen herangewandert. Arme und Beine
    waren weniger biegsam als Holz, nicht weil die Totenstarre ungebührlich lange angedauert hätte, vielmehr weil der
    Lebenssaft in seinen Adern gefroren war. Insofern war mein Schöpfer selbst zu einem makabren Monument seiner
    Anmaßung und Hartherzigkeit geworden. Dort an Deck knetete ich Frankenstein zur Marionette, warf ihn mir wie einen Sack Mehl über die Schulter und verließ die Caliban, indem ich aus einer Höhe aufs Eis hinabsprang, die ein Wesen rein
    menschlichen Ursprungs gescheut hätte.

    Ich hielt beim Abschreiben inne. Wenn Jumbo der Verfasser
    war, dann hieß das, er erhob Anspruch auf eine Art entfernte
    Verwandtschaft mit einem europäischen Wissenschaftler
    namens… na, Frankenstein, eben. Er hatte außerdem einen
    oder mehrere Morde zugegeben. Ich hatte gemordet. Das ging mir durch Mark und Bein. Ich meine, ich hatte gut einen
    Monat gebraucht, um mir

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