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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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eines Fanatikers fortsetzen können.

    Gewiß, ich hätte Frankenstein zurücklassen und alleine
    weiterklettern können, doch mir das Unterfangen auf diese
    Weise zu erleichtern, das verwehrte mir eine verbohrte
    Gewissenhaftigkeit; eine Perversität, mögen viele denken, denn irgendwann auf meiner Wanderschaft hatte ich mir
    vorgenommen, es diesem Mann heimzuzahlen, der mich derart
    gequält und gekränkt hatte. Ich wollte ihm das Herz aus der Brust reißen und das kalte, bittere Organ Stück für Stück an die Raubvögel der Karasee* verfüttern, und nichts sollte mich daran hindern, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen.
    Obwohl mein Wille ungebrochen war, verspürte ich erste
    Anzeichen von Schwäche. Das Heulen des Windes zusammen
    mit den tausend geschliffenen Messern aus Eis und blankem
    Fels zersetzten meine Kräfte. Erschöpfung stellte sich ein, und mit ihr ein glücklicher Zufall. Ich tastete mich eben über einen schmalen Sims aus Eis, als ich auf einen Felsspalt stieß, der geräumig genug war, um mir Schutz zu bieten. Ohne von
    meiner sperrigen Last abzulassen, kroch ich ins Innere. Hier nun fand ich einen Frieden, der mich meinen Vorsatz nahezu vergessen machte. Hier überließ ich mich dem Schlaf.
    Besser gesagt, hielt ich den Winterschlaf eines pelzlosen
    Bären. Wieviel Zeit ich, um den Leib meines Erzeugers
    geschlungen, in diesem Dämmerzustand verbracht habe, kann
    ich nicht sagen. Irgendwann trieb ich so nahe am beinernen Riff des Erlöschens, daß mir träumte, ich sei daran vertäut.
    Das erstickende Flämmchen meines Bewußtseins hielt jenen
    kraftlosen Leib für tot, den es einst erhellt hatte. Es blakte am Rande der Finsternis, es frohlockte am Rande des Verlöschens.
    Die Zeit verstrich, und es verstrich noch einmal soviel Zeit.
    Dann brach zu meiner anfangs erwähnten Bestürzung jählings und mit Getöse die Decke meines Unterschlupfs ein und eine Unzahl außergewöhnlicher Blitze riefen mich ins alte Elend dieses Daseins zurück. Wie es genau dazu kam, kann ich nicht berichten. Warum es dazu kam, ist ein noch unergründlicheres Geheimnis. Blitze, Donner, Hagelschlag und Graupelschauern
    – meteorologische Phänomene in selten beobachteter
    Kombination – attackierten meine Kaverne und aktivierten die mir eingeborenen Mechanismen des Lebens. Im Gegensatz zu
    Frankenstein, meinem Urheber, der natürlich nach wie vor tot war, war ich wider meinen Willen wieder auferstanden. Solche Häme auf die Sterblichkeit lag hier versteckt unter dem
    nächtlichen Eisregen und dem Ungewissen Wetter von
    morgen…

    Seit gut drei Stunden saß ich nun schon da und schrieb Jumbos
    ,Worte ab – wenn es denn die seinen waren. Junge, konnte der
    das ausspinnen! Die Story hatte etwas Handfestes. Sogar diese
    altertümlichen Sätze. Ich hörte mit dem ungewissen Wetter von morgen auf, weil damit der erste Teil des Tagebuches zu Ende war. Ich blätterte vor, und je weniger mir das Ganze wie ein
    weitschweifiger Roman vorkam, desto mehr hielt ich es für die
    Aufzeichnungen eines – eines künstlichen Menschen, der ein
    langes und abwegiges Leben geführt hatte.
    Der nächste Teil des Tagebuches trug dann auch die
    Überschrift: Durch Reue zur Selbstachtung: Mein zweites
    Leben.
    Inzwischen hatte ich sieben Zigaretten geraucht und mein T-
    Shirt durchgeschwitzt. Jumbo sah nicht bloß aus wie ein
    Monster, wie das Opfer einer übergeschnappten
    Hirnanhangdrüse – er war eins, er war der selbstgebastelte Stiefsohn eines Wissenschaftlers, dessen Name im Laufe der
    Zeit ein Markenzeichen für… na ja, für Hollywoods
    Gruselkabinett geworden war. Mister JayMac hatte die Güte
    gehabt, mich an dieses unmenschliche Geschöpf zu
    verkuppeln, das getötet hatte, sein Leben verfluchte und sich

    an seinen fix und fertigen Schöpfer auf einem Schiff in der
    Barents-See* herangemacht hatte. Ich schlief bei diesem Ding!
    Und plötzlich fuhr mir auf dieser stickigheißen Mansarde ein
    Eiszapfen ins Herz.
    Jumbo kam rauf. Trotz seiner Statur hatte er keinen schweren
    Tritt, doch die Stufen vom ersten in den zweiten Stock, wenn
    man sie an der richtigen (oder falschen) Stelle belastete,
    quietschten wie Masttaue, und Jumbo schien das manchmal
    extra zu machen, um sich bei mir anzumelden. Ziemlich
    anständig. Vermutlich wollte er nicht reinplatzen, wenn ich
    gerade ein Varga-Girl anhimmelte und mir dabei einen
    runterholte. Oder hieß das nur, ich sollte es genauso machen?
    Jedenfalls hätte ich die Briefe schleunigst

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