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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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denn über ein Leben nach dem Tode, an das man stillschweigend glaubte, dachte man nur wenig nach, und manchmal entledigte man sich der Toten, indem man sie
    den Wölfen überließ. So brauchte man nicht den gefrorenen
    Tundraboden aufzubrechen und bewies zugleich der Tierwelt
    seine innige Verbundenheit. Nichtsdestoweniger erschreckte mich diese Methode. Die meisten Ungpekmat sagten ihren
    Verstorbenen allerdings auf eine andere Weise Lebewohl: Sie wickelten sie in Felle und bahrten sie im Wald – zusammen mit allerlei persönlichen Sachen für die künftige Reise, als da waren Kajak, Bola, Harpune und Schlittengerippe – auf einem hölzernen Gerüst auf Diese Methode sagte mir mehr zu.
    Außer den Briefen, die ich auf der Caleban sichergestellt
    hatte, besaß ich kaum etwas Persönliches von Frankenstein.
    Und auf der Tschuktschen-Halbinsel hatte er sogar seine
    Augen eingebüßt. Als mir bewußt wurde, daß Raben, Eulen
    und Bären sich immer noch an den so aufgebahrten Toten
    gütlich tun konnten, verwarf ich auch diese Art der Bestattung.
    Mit Hilfe der Ungpekmat fand ich jedoch eine Methode,
    Frankenstein die letzte Ehre zu erweisen, ohne daß irgend
    jemandes Gefühle verletzt wurden. Wir bestrichen ihn von
    Kopf bis Fuß mit einer Salbe aus Tran und Harz und nähten
    ihn in ein Karibufell. Den so ›Eingesargten‹ fuhren wir viele Meilen weit, trugen ihn in eine vulkanische Höhle und legten ihn in eine finstre Kammer. Draußen vor der Höhle sangen wir ihm Lobpreis, Lebewohl und eine glückliche Reise.
    Nachdem diese Pflicht erfüllt war, paßte ich mich mit Hilfe meiner Gastgeber erfreulich rasch dem Tageslauf in Ungpek
    an. Ich lockerte meine vegetarische Lebensweise praktisch bis zur Verleugnung derselben; wie hätte ich unter den Esquimaux
    – den ›Fleischessern‹ also – leben sollen, ohne zu tun, was sie schon immer taten und wonach man sie benannt hatte. Ich
    verzieh mir, denn die Inuit betrieben keinen Ackerbau und waren demnach außerstande, einen Fremdling zu bewirten,
    der ihre gewohnte Nahrung verschmähte.
    Außerdem, was mein Gewissen sehr beruhigte, sangen und
    beteten die Ungpekmat zu den Tieren, die sie jagten, und
    bedienten sich ihrer mit äußerstem Respekt, ja mit
    Ehrerbietung, was den hiesigen Fleischverzehr rituell von den profanen Praktiken der Europäer abhob.
    Wie ich beteuert hatte, widmete ich mich dem Wohl von
    Ungpek und wurde nicht müde, mich als Jäger, Fischer und
    Kajakbauer, Netzeflicker, Pfeilbefiederer und ›Schutzengel‹
    nützlich zu machen. So zog ich mir den Respekt und die
    Bewunderung meiner Adoptivverwandten zu. Bei ihnen lernte
    ich eine Zufriedenheit kennen, die zu erleben ich mir nie
    geträumt hätte.
    Meine Statur trug mir den Namen Tekuka, Grizzlybär, ein.
    Und weil ich peinlich darauf bedacht war, mich weder
    einheimischen Besuchern noch irgendeinem weißhäutigen
    Händler oder Landvermesser zu zeigen, nannte man mich
    Injukutak, den ›Mann, der sich versteckt‹. Und weil ich ein paar Dorfbewohner an ein mythisches Wesen erinnerte, den
    ›Wurm-Mann‹, der zu einer Zeit gelebt hatte, da Tiere sich nach Gutdünken in Menschen verwandeln konnten, sagten
    wieder andere Tisikpuk zu mir. Tekuka war die weitaus
    geläufigste Anrede, doch ich hörte auch auf Injukutak und Tisikpuk. Ich genoß es förmlich, als dereinst namenloses und ausschließlich abfällig tituliertes Wesen inzwischen mehr
    Namen zu haben als jeder andere im Dorf.
    Mit der Zeit wurde aus mir ein derart tüchtiger Ungpekmat, daß niemand Anstoß nahm, als ich mit einer ledigen Frau aus dem Dorf anbändelte, einer kleinen, derben Person mit
    kräftigen Händen und mit Augen, die wie Sterne funkelten.
    Weil ihr Haar einen rötlichen Schimmer hatte, wurde sie
    Keriak, ›Rotfuchs‹, genannt, und sie wich nie meinen

    Aufmerksamkeiten aus. Ich schlief mit ihr, nahm sie zur Frau und zog mit ihr in ein Grasnarbenhaus mit Deckenbalken aus Walknochen. Mein Schwager hätte lieber gehabt, wir wären in das Haus seiner Familie gezogen, doch seine Frau hatte mit Entrüstung geltend gemacht, daß ein Mann meiner Größe
    mehr Raum beanspruche, als sie ihm bieten konnten. Keriak
    gab ihr Recht, und so schachtete ich mit tatkräftiger
    Unterstützung vieler Ungpekmat ein neues Haus aus, das
    genug Raum für uns zwei und unsere künftigen Kinder bot. Ich liebte diese Frau, und sie liebte mich, und es bereitete ihr ein perverses Vergnügen, für einen Anorak, den sie mir anfertigte, oder ein

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