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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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Ich
    schneiderte mein Hemd, meine Beinkleider und meine Stiefel so zurecht, daß sie der einheimischen Männertracht
    entsprachen. Aus Fichten- und Weidenholz bastelte ich
    Spielzeug für die Dorfkinder, Friesmesser für die Mädchen
    und geschnitzte Tiere für die Jungen.
    Bei meinem nächsten Besuch in Ungpek ließ ich meinen toten Schöpfer auf einem Baum zurück und näherte mich mit
    Geschenken beladen und in vertrauter Kleidung dem Dorf. Ich legte die Geschenke am Rand von Ungpek aus und tanzte im
    üppigen Sommergras einen schlichten Tanz um Frieden und
    Stattgabe. Dabei sang ich die versöhnlichen Worte eines
    Liedes, das ich selbst ersonnen hatte. Die Kinder wünschten sich nichts sehnlicher, als meine Köder aufzulesen, und ein paar jüngere Erwachsene schienen mein neuerliches Werben
    mit Wohlwollen, wenn nicht mit unverhohlenem Vergnügen
    aufzunehmen. Der Angelguk oder Medizinmann, der ein
    Amulett aus den mumifizierten Überbleibseln eines
    menschlichen Säuglings trug, schimpfte mich einen Betrüger, einen bösartigen Bären in der Maske eines geistig verwirrten Riesen. Zwei angesehene Jäger waren sich einig, mich
    vorsichtshalber nicht näher heranzulassen. In der Tat
    debattierten die Ungpekmat hektisch über meine wahre
    Identität, und einig waren sie sich nur, daß, meinen Worten zu vertrauen, großes Unheil über sie bringen mochte.
    Asvek, der Medizinmann, behauptete, sein Gegenspieler in
    einem fernen Dorf habe mich hergeschickt, um einem Angriff der Ungpekmat zuvorzukommen. Einer uralten Fehde wegen
    hatte die Sippe des anderen Angelguk sie überfallen und eine der hiesigen Frauen entführt, und deshalb verfocht Asvek die These, der gegnerische Schamane habe einen verrückten
    Bären in dieses scheußliche Geistermedium verwandelt, das nun die Ungpekmat zu täuschen suche. Nach dieser Auslegung durch den Angelguk durfte niemand mehr die Möglichkeit
    einräumen, ich könnte es vielleicht ehrlich meinen oder komme ihm trotz der unvollkommenen Verkleidung wie ein Mensch
    vor. Und wieder vertrieben mich die Dorfbewohner, von deren Gesellschaft ich träumte.
    Ich gab nicht auf. Ich hielt es mit der Inuit-Sippe, wie ich es damals, kurz nach meiner Erschaffung, in der Schweiz mit
    Familie De Lacey gehalten hatte: Ich spielte den heimlichen Wohltäter. Ich erwies den Inuit verschiedene Gefälligkeiten, um die mich niemand gebeten hatte; um nur zwei oder drei zu nennen: Ich versorgte sie mit pflanzlicher Nahrung –
    bestenfalls eine Randerscheinung auf ihrem Speisezettel – und reparierte ihre Fangnetze und die mit Seehundsfell
    verkleideten Boote. Später rettete ich ein kleines Kind, das ohne Begleitung in eine Hundekoppel und einem hungrigen
    Schlittenhund zwischen die Pfoten geraten war. Der
    Möglichkeit einer weiteren Attacke trotzend, holte ich das Kind aus der Koppel und brachte es ins Dorf zu seinen
    Geschwistern, Vettern und Basen zurück. Als ich ihnen das
    lächelnde Kind übergab, wurde ich nicht müde, ihnen und
    mehreren Erwachsenen in der Nähe meine freundliche
    Gesinnung und meine ehrlichen Absichten gegenüber allen
    Ungpekmat zu beteuern. Auch gab ich mich als jener
    mysteriöse Wohltäter zu erkennen, um den sich bereits etliche abergläubische Geschichten rankten.
    Allmählich erwarb ich mir durch meine Worte und Taten eine gewisse Achtung bei den Inuit, selbst bei dem Schamanen
    Asvek. Man gestattete mir immer längere Aufenthalte. Als ich ihnen erklärte, daß der Leichnam, den ich mitgebracht hatte, derjenige meines Schöpfers war – nicht meines Vaters, wie man mir in den Mund legen wollte, sondern eines Mannes, der mich auf alchimistische Weise mit Elixieren und Pulvern aus wiederbelebtem Fleisch fabriziert hatte – da brachten Asvek und die übrigen Ältesten von Ungpek sowohl ihre
    Erleichterung als auch ihr Staunen zum Ausdruck. Wenn der
    Mann, der mich erschaffen hatte, tot war, dann war ich
    zweifellos nicht das Werk eines lebendigen Feindes: Ich hatte sicher mehr Einfluß auf meinen Schöpfer als er auf mich, und ich konnte, wie ich wiederholt beteuert hatte, meinen Einfluß zum Wohle Ungpeks geltend machen. Auch waren die Dörfler
    froh zu sehen, wie wenig der mumifizierte Frankenstein seiner wandelnden Kreatur ähnelte.
    Daß ich seinen Leichnam über Tausende von Meilen bei mir
    behalten hatte, hielten die Inuit allerdings für eine
    ausgesprochen komische Gunstbezeugung. Meine
    diesbezügliche Anhänglichkeit fanden sie exzentrisch, wenn nicht gar krankhaft,

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