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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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das Flechtwerk
    hindurch anzustarren, wobei aus seinen Augen – wie ich mir
    einbildete – eine dünne gelbe Lava sickerte.
    Ich kippte angezogen auf die Liege. Mama Laurel, die
    Elshtains, Coach Brandon, Franklin Gooch und alle anderen in
    Tenkiller hätten ebensogut mit einer Rakete zum Mars sein
    können. Später wachte ich im Dunkeln auf. Der Ventilator
    schabte und pendelte, und Jumbo röchelte in tiefen,
    gleichmäßigen Zügen. Ich hörte mich selbst röcheln und ging
    wieder unter…

    9

    ALS ICH AM NÄCHSTEN MORGEN AUFWACHTE, schlief Jumbo
    noch. Mein Mund fühlte sich an, als hätte ihn jemand
    ausgeschmirgelt und mit Wattebäuschen ausgestopft. (Die eine
    Old Golds von Dunnagin?) Die Mückenstiche an den
    Fußgelenken und Fingerknöcheln sahen aus wie
    Rasiermesserschnitte, so sehr hatte ich gekratzt. Ich brauchte ein Bad.
    Ich kramte ein Handtuch heraus und schlich an der Matte
    vorbei, die das Zimmer teilte. Jumbo lag in seiner extra-großen Unterwäsche auf dem Bettzeug – ein menschenähnlicher
    Gebirgszug im Morgengrauen – Knie, Hüften, Rippen,
    Schultern, Kopf. Er lag so unmöglich verdreht da, daß man
    unwillkürlich an bleibende Schäden dachte, doch sein Atem –
    sanft und röchelnd – sagte das Gegenteil. Der häßliche Tölpel
    war wirklich im Land der Träume.
    Im Schlaf sah Jumbo aber noch häßlicher aus. Die
    Körperteile schienen nicht zusammenzupassen. Der
    blockartige Schädel mit dem strähnigen Haar schien irgendwie
    nicht zu dem bulligen Nacken und den breiten, abschüssigen
    Schultern zu gehören. Es lag nicht an den Proportionen – die
    waren’ mehr oder weniger okay, ich glaube, es war die Haut:
    Farbton und Textur waren irgendwie brüchig, nicht so, wie
    man es erwartete. Als ob man Brötchenteig und Kuchenteig
    und Lehm von östlich der Appalachen zusammenknetet, ohne
    die Anteile wirklich zu vermengen. Obwohl er schnarchte,
    erinnerte Jumbo mich unwillkürlich an einen Leichnam,
    vielleicht eines Kriegsopfers.

    Im Bad erlangte ich meine Würde zurück. Ich sah nicht mehr
    nach Jumbo.
    Ich stahl mich die Treppe hinunter in den Clubraum. Pettus,
    Jorgensen und Roper waren verschwunden.
    Niemand hatte den Ständer mit dem Block fortgeräumt.
    Aufgeschlagen war die Karte vom Penticuff Strip mit all
    seinen Kaschemmen, Tätowierschuppen und ›horizontalen
    Erfrischungsstätten‹, deren Betreten uns Mister JayMac
    ausdrücklich verboten hatte, und zwar nicht, weil er ein
    Moralapostel sei, sondern weil er überzeugt sei, daß sich kein Hellbender mit auch nur einem Funken Schneid in diese
    Spelunken wagen könne, ohne in eine wilde Rauferei zu
    geraten.
    »Diese Jungs von Camp Penticuff betrachten den Stadtteil als
    ihren privaten Freizeitpark«, hatte Mister JayMac doziert.
    »Nach ihrer Ansicht ist jedes kräftige, männliche Exemplar,
    das dort in Zivilklamotten aufkreuzt, ein muschischnorrender
    Drückeberger, dem man in die Eier treten muß. Wer dennoch
    hingeht, darf nicht erwarten, daß ich ihm das Krankenhaus
    oder die Kaution finanziere. Als erstes wird er gefeuert. Dann erfährt die Wehrerfassung, daß da jemand ist, der auf die
    Grundausbildung und einen raschen Kampfeinsatz wartet.
    Haben wir uns verstanden?«
    »Jawoll, Sir!« war die einhellige Antwort.
    An diesem Morgen hielt ich es allerdings für schrecklich doof
    oder rührend aufmerksam von ihm, diesen Lageplan für alle
    Bumslokale und Puffs, die wir tunlichst meiden sollten, so
    offen rumhängen zu lassen. Ich stand da im flauen Frühlicht
    und versuchte, mir den Plan und die markantesten Einzelheiten
    einzuprägen: The Hot Spot, Corporal John’s, The Wing and
    Thigh, Effie McGee’s. Ich hatte mich vom Zugang an der Market Street bis dreiviertel Pawnshop Row vorgearbeitet…

    »Wenn du so früh schon auf bist, dann du kannst mir beim
    Frühstück helfen, Mister Danl.« Ich war auf dem Absatz
    herumgewirbelt und stand da wie ein ertappter Einbrecher.
    Bevor die Küchentür Kizzy mit einem Pendelschlag
    verschluckte, sah ich noch den Wink ihrer gespenstischen
    Brötchenmehlhand. Als ob ich auf Kommando gehorchen
    würde. Über Nacht war Mr. Bowes zu Mister Danl degradiert
    worden. Und wieso sollte ich heute morgen wieder
    Küchendienst machen? Und was war mit gestern abend?
    Mein Instinkt riet mir zu tun, was Kizzy wollte; ich tat
    immer, was Erwachsene sagten. Aber wär ich auf meinem
    Zimmer geblieben wie all die anderen Langschläfer, dann
    brauchte ich jetzt nicht zu hadern. Kizzy strafte mich

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