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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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für
    meinen Ben-Franklin-Zeig-ihnen-die-Zähne-Ethos*. Nicht fair.
    Folglich wandte ich mich wieder dem Plan zu.
    Die Küchentür tat einen weiteren Pendelschlag. Ich tat, als ob ich nichts hörte und spurte mit dem Finger den Weg von GI George’s Camera Shop zu einem Tanzlokal nach, das – Gott
    ∗
    ist mein Zeuge – Jitterbuggery hieß.
    »Mr. Boles«, sagte eine schleppende weibliche Stimme,
    »Kizzy hat Sie eben um Ihre Hilfe gebeten. Kommen Sie
    sofort. Bitte.« Das ›Bitte‹ trug nur der Tatsache Rechnung, daß wir beide – die Sprecherin und ich – Weiße waren. Meine
    Verwirrung dauerte nur eine Sekunde, dann spurtete ich los.
    Knapp hinter der Küchentür – Junge, das roch vielleicht gut
    hier drin! – war die weiße Frau dabei, einen fettigen Brocken Speck aufzuschneiden.
    Der Anblick von Speck machte mich stutzig. Fleisch war seit
    Ende März rationiert, und Ma und ich hatten uns redlich
    bemüht, die Kriegsanstrengungen zu unterstützen, indem wir
    kalte Getreidemahlzeiten aßen. Goochie hatte das

    ∗ Jitterbuggery = Zappelsodom / Der Jitterbug (wörtl. Zappelwanze) wurde in den vierziger Jahren hauptsächlich zu Swingmusik getanzt.

    ›Bauchpatriotismus‹ genannt. Er haßte Brei zum Frühstück,
    leere Paprikaschoten zum Lunch und zweimal die Woche
    Rührei zum Dinner. Aber in McKissic House schien man sich
    wenig zu kümmern.
    »Du fettest bitte die Backbleche ein«, sagte die weiße Frau.
    »Dann halbierst du die Orangen und preßt sie aus. Die
    Saftpresse ist da drüben. Ein Krug reicht fürs erste. Sieh zu, ob du die Kerne raussieben kannst. Sie sind ungesund. Jeder Kern
    in einem Glas Orangensaft ist eine Schande.«
    Diese Frau über Fünfzig sah um Jahre älter aus als Ma. Sie
    trug ein geblümtes Kleid, ganz in Blau und Violett, und
    darüber eine saubere weiße Schürze – wie eine Sennerin oder
    Rotkreuzschwester. Das Haar glänzte weißer und weicher als
    das Stück Schweinefleisch unter ihren Händen, doch ein
    Coiffeur hatte ihr eine Mädchenfrisur geschnitten, es
    hochgewölbt und nach hinten gerafft, so daß der Schwung die
    Ohren halb verdeckte; im Nacken wurde es von einer
    Kameespange gehalten. Sie hatte rosarote Lippen, dunkle
    Brauen und Augen wie blaue Glasmurmeln. Für mich war
    sie… der Sonnenaufgang mit Schürze.
    Damit wir uns nicht falsch verstehen. Ich hatte mich nicht
    Hals über Kopf in sie verguckt. Es war nur so, daß mich ein
    Paradiesvogel in Kizzys Küche nicht minder verblüfft hätte,
    als diese Frau es tat. Sie gehörte so sehr in eine Wolke aus
    Brötchenmehl wie Vivien Leigh auf Knien und mit
    Schrubbürste in eine öffentliche Bedürfnisanstalt gehörte. Das war so gut wie alles, was ich zu diesem Zeitpunkt über sie
    wußte. Vielleicht vergiftete sie heimlich Kolibrizüchter. Eins stand fest – sie konnte kommandieren wie ein Spieß in Camp
    Penticuff.
    Ich machte mich ans Einfetten der Backbleche, derweil Kizzy
    frisch gemahlenen Kaffee in einen Topf häufte, der fast die
    Größe einer Öltonne hatte. Die Sonne war noch nicht ganz am

    Himmel, und die Küche rumorte und dampfte bereits. Ich kam
    mir vor wie ein Galeerensklave.
    »Ich bin Mrs. McKissic«, sagte die weiße Frau. »Giselle
    Crouch McKissic. Du darfst wie alle hier Miss Giselle zu mir
    sagen.« Sie hielt im rasend schnellen Aufschneiden des Specks
    inne. »Und wenn du nicht sprechen kannst, darfst du mich
    eben im stillen so nennen. Aber vielleicht benutzt du insgeheim einen Namen, der mehr nach deinem ordinären Geschmack ist.
    Ich kann das nicht verhindern, aber Sie würden Ihre Erziehung
    verleugnen, Mr. Boles.«
    »Mister Danl ist ein guter Junge, Ma’am. Er kann nur nicht
    sprechen.«
    »Ich weiß, daß er nicht sprechen kann«, sagte Miss Giselle,
    »aber er kann denken. Nicht unbedingt gut, aber frei und ohne jede Rücksicht auf die Gefühle der Erwachsenen. Stummheit
    kann ein schrecklich bequemes Versteck sein. Man muß nicht
    geradestehen für seine Gedanken, weder vor sich selbst noch
    vor anderen. Was wir alle sollten.«
    »Sie denken viel zu zuviel, Ma’am«, sage Kizzy. »Der Junge
    hier ist in Ordnung.«
    »Ein Urteil, das sich nur auf einen halben Tag Erfahrung
    stützt?«
    »Ja, Ma’am. Mister Danl kam erst gestern.«
    Miss Giselle sagte: »Genug eingefettet, Mr. Boles. Schmalz
    und Butter sind rationiert. Wollen Sie alles verbrauchen?«
    Unmöglich, dachte ich. Diese Küche schien von allem
    reichlich zu haben, von Tabasco-Soße bis Haferflocken. »An
    den

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