Brüchige Siege
Farbigen von LaGrange – und jedem
anderen, der aufgeschlossen genug war, um sich hier
anzustellen – einen Leckerbissen hin. Das Vordach erzählte die Horror-Story:
FRANKENSTEIN
BRIDE OF FRANKENSTEIN
SON OF FRANKENSTEIN
* * *
∗
Boris Karloff as the Bogeyman to End All Bogeymen
∗ FRANKENSTEIN (Universal 1931)
FRANKENSTEINS BRAUT (Universal 1935)
FRANKENSTEINS SOHN (Universal 1939)
Boris Karloff alias William Henry Pratt (1887-1969), amerikanischer Filmschauspieler englischer Herkunft, der in diesen frühen Universal-Filmen das Geschöpf des Arztes Frankenstein spielt
Als Jumbo das Vordach sah und las, worauf er sich
eingelassen hatte, kam er ins Grübeln. Er murmelte etwas
Freundliches über Reveille with Beverly. Aber ich – ich wollte unbedingt in diese drei Filme gehen. Ich hatte noch keinen
davon gesehen, auch wenn wir Mary Shelleys Frankenstein
∗
auf der High-School gelesen hatten. Außerdem hoffte ich, die
Filme würden mich von meinen saublöden Rachegelüsten
abbringen, die ich gegenüber Hoey und Konsorten hegte.
Schließlich und endlich kamen wir an die Reihe, und ich
steckte mein Geld durchs Fenster. Jumbo rückte nach.
»Falls du Frankenstein noch nicht gesehen hast«, meinte er,
»dann hältst du den Film wahrscheinlich für ein… ein ziemlich
primitives Machwerk.«
Das weiße Mädchen hinter der Scheibe trug das Haar mit
einem feinen Netz zu einer Art Stärlingsnest geformt. Wollte
er mir den Film ausreden? Das Mädchen sagte: »Eintrittsgeld,
Sir.« Jumbo zahlte und schob sich hinter mir in die salzigen
Popcorngerüche des Foyers.
In dem Gedränge sagte er: »Bride of Frankenstein übertrifft seinen Vorgänger an Qualität, und Son of Frankenstein ist Karloffs letzter Auftritt in dieser Rolle, die ihn berühmt
gemacht hat, und eine gute schauspielerische Leistung von Bela Lugosi* als Ygor. Wenn wir bis zum Schluß bleiben,
verletzen wir allerdings den Zapfenstreich.«
Jumbo fiel auf wie ein Vogel Strauß in der Pinguinparade.
Sein Flüstern überdröhnte selbst das aufdringliche Gerede
- Boris Karloff als der Teufel, der allen Teufeln den Garaus macht -
∗ Mary Wollstonecraft Shelley (1797-1851), englische Schriftstellerin: Ihr Hauptwerk ist der Roman Frankenstein, or the Modern Prometheus (1818); dt. als Frankenstein oder Der moderne Prometheus (1963) in der Reihe HEYNE-PAPERBACKS erschienen (übersetzt und herausgegeben von
Christian Barth)
dieser Schwarzen, und manche guckten ihn an, als habe er sich
eben von einer Ambulanz bringen lassen.
Am Erfrischungsstand wies ich mit dem Kinn auf die
Zapfstelle für Coca-Cola und den verglasten Popcornröster
daneben. Sowie ich das Meine hatte, bugsierte Jumbo mich in
Richtung Zuschauerraum. Die Leute schoben sich durchs
Foyer. Ich erhaschte ab und zu einen Blick in den Saal, die
Sitzreihen füllten sich bereits. Nachdem zwei Drittel der
Menge durch den Eingang waren, schlüpften wir mit hindurch.
In der letzten Reihe unter dem Vorführraum war noch Platz.
Jede Nische war vollgepfercht, Teenager schlängelten sich auf
und ab durch die Gänge auf der Suche nach Freunden oder um
sich zu produzieren, und das Johlen und Pfeifen legte sich erst, als die Beleuchtung gedimmt wurde.
Der tiefblaue Purpurvorhang und der durchsichtige dahinter
teilten sich und schnurrten beiseite. Vorschau, Wochenschau
(hauptsächlich Kriegsmaterial) und ein Popeye-Cartoon, das
den Saal zum Applaudieren brachte.
Dann Frankenstein mit einer Eröffnungsszene – gemurmeltes Latein, Bauerngesichter auf einem Friedhof – eine Szene, die
einen Hauch von Kälte in die ausgelassene Stimmung brachte.
Abgesehen vom Surren des Projektors und der Tonspur des
Films, hörte man nur das Knarren der Sitze, hier und da ein
nervöses Kichern und vereinzeltes Husten. Ausgegrabene
Leichen, vom Galgen geschnittene Mörder, der stumpfsinnige
Gehilfe des Arztes stiehlt das Gehirn eines ANORMALEN.
Nach dem halben Film gingen die Zuschauer richtig mit.
Spitze Schreie, Winseln, Kreischen, Gelächter. Manche
standen auf, um den Schauspielern auf der Leinwand
zuzubrüllen oder sie anzuflehen.
»Nun komm schon«, redete ein Mann auf das Monster ein,
»das willst du doch gar nicht. Ah-ah. Du kriegst nur Ärger
damit.«
»Ekelhaft!« meinte ein anderer. »Er ist soo ekelhaft!«
»Mein Gott, kapierst du nicht, daß er das nicht wollte?«
»Ne, ne, ne. Geh zurück! Geh zurück!« Je länger ich dasaß,
desto mulmiger wurde mir.
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