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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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Ich warf Jumbo immerzu
    verstohlene Blicke zu, er saß totenstill da. Nicht, daß er Karloff in der Rolle von Frankensteins Geschöpf besonders ähnlich
    gesehen hätte, oder daß andersherum dieses steifbeinige
    Monster, das von Karloff gespielt wurde, ihm aufs Haar
    geglichen hätte, aber man hätte blind sein müssen, um die
    Parallelen zu übersehen – die klotzigen, kantigen Schädel, die plumpen Körper. Trotzdem, Jumbo hatte eine Beweglichkeit,
    die dem anderen völlig abging, und ein derart trauriges und
    verkantetes und schiefes Gesicht, daß sich Karloffs Monster
    dagegen normal, ja geradezu hübsch ausnahm. Das Ding auf
    der Leinwand hatte im Gegensatz zu Jumbo etwas
    Mechanisches, Roboterhaftes. Jumbo bewegte sich manchmal schleppend oder ruckartig, aber mehr wie ein verletztes Tier
    und nicht wie ein kaputter Roboter. Jedenfalls machte mir
    seine Ähnlichkeit mit dem Karloff auf der Leinwand keine
    Angst – aber sie machte mich so verlegen, daß ich glühte.
    Daran konnte auch die gekühlte Luft im Roxy nichts ändern.
    Wie mußte Jumbo sich fühlen, der hünenhaft und marmorhart
    wie das Lincoln Memorial neben mir thronte, die Hände wie
    Panzerhandschuhe auf den Knien?
    Er mußte doch ahnen, daß jeder zweite hier, mich
    eingeschlossen, ihn längst mit dem Unhold auf der Leinwand
    verglichen hatte. Zumal ihm zeitlebens das Getuschel und die
    mehr oder weniger eindeutigen Schroffheiten nicht entgangen
    sein konnten. Ich konnte ein Lied davon singen.
    Nach gut dreiviertel Film verlor ich den Faden von
    Frankenstein. Es gab keine musikalische Untermalung, und wenn nicht gerade debattiert oder das Monster beschimpft
    wurde, riß mich der kleinste Seufzer oder das leiseste

    Polsterquietschen in die eisgekühlte Realität und meine
    schweißtreibende Verlegenheit zurück. Eine Menge Szenen, in
    denen nur geredet und geredet wurde…
    Doch gegen Ende, als die Dorfbewohner die alte Mühle in
    Brand steckten und es aussah, als müsse das Monster in den
    Flammen umkommen, da fand ich den Faden wieder. Jumbo
    war vergessen. Ein Hurrikan aus Licht. Eine Scheu, die an
    Ehrfurcht grenzte, bannte das Publikum. Eine Stille wie im
    Auge des Sturms. Mitleid mit dem Monster. Erleichterung,
    weil es kein Unheil mehr stiften konnte, und – Furcht, weil es, wie Christus in einem schlecht sitzenden Anzug,
    wiederauferstehen würde. Um sich eine Frau zu nehmen. Die
    Spule mit der Fortsetzung wartete schon.
    »Laß uns gehen.« Zum ersten Mal, seit wir diese Plätze in
    Beschlag genommen hatten, versuchte Jumbo aufzustehen. Ich
    drückte beide Hände auf seine Brust und hielt ihn zurück. Die
    Uhr am Lafa-yette-Square hatte noch nicht neun geschlagen.
    Und ich konnte nicht glauben, daß er so versessen auf Life in a Putty-Knife Factory war. Stöhnend sank er zurück.
    Während der Unterbrechung gingen viele ins Foyer, um sich
    mit Jujube-Perlen*, Soda oder Kaugummi einzudecken. Die
    Beleuchtung hatte aufgehellt, und jedermann konnte Jumbos
    Kopf sehen, der an der Rückwand lehnte, die Augen schmal
    wie die einer großen Eidechse. Wer kam und Jumbo sah, nahm
    sich entweder Zeit, ihn zu beäugen, oder sah zu, daß er
    möglichst rasch vorbeikam.
    Ringsherum wurde getuschelt und geraunt, man stieß sich an.
    Ein mittlerer Zyklon. Zwei oder drei weitere Sitze in unserer
    Nähe leerten sich.
    »Ein Werbegag«, sagte jemand.
    »Ein armer Teufel, der aus dem Krieg zurück ist.«
    »Quatsch, das ist doch der First Base bei den Hellbenders,
    der gestern abend die zwei Weiten gemacht hat.«

    »Uah. Dem haben sie die Birne weichgeklopft.«
    Die Beleuchtung zwinkerte, die Vorstellung ging gleich
    weiter. Nicht alle kamen zurück, und ringsherum blieben noch
    mehr Plätze frei. Jumbo rutschte tiefer und tiefer, als wolle er in der verschütteten Cola verschwinden, die wie klebriges Blut am Boden schimmerte.
    Der Film Bride of Frankenstein begann mit seiner lauten Ram-ta-ta-tam-tam-Ouvertüre
    – dann Spieldosenklänge
    während der Eröffnungsszene mit Mary Shelley und den
    ∗
    Burschen, die wie Byron und Percy aufgemacht waren , und
    irre Fanfarenstöße jedesmal, wenn das Monster verdutzt
    weiterwankte oder Colin Clive als Dr. F. wieder Migräne hatte.
    Als Clive dann Elsa Lanchester mit ihrer Harpo-Marx-Frisur
    durch Elektroschocks zum Leben erweckte, ragte Jumbos Kopf
    nur noch so weit über die Rückenlehne hinaus wie meiner.
    Dafür ragten seine Knie wie Inseln aus der kabbeligen See der
    Franz-Waxman-Musik. Es tat weh, ihn so

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