Brüchige Siege
verkrampft zu sehen,
doch mit den verschrobenen Apparaturen und dem
ausgemergelten Dr. Praetorius hatte der Streifen durchaus was
für sich. Wie hätte ich gehen können, bevor nicht die ganze
schräge Show abgelaufen war?
Ende von Bride of Frankenstein. Die Beleuchtung
hellte auf. Ein Kinobesucher auf seinem Weg ins Foyer blieb
stehen und zeigte mit einem zitternden Finger auf Jumbo. »Du
hast hier nichts verloren. Du kommst aus der Gruft, du hast am Galgen gehangen.« Der Mann stank nach billigem
Pfirsichwein. »Weiche, Satan, zum Teufel mit der Schlange!«
∗ 1816 will Mary Wollstonecraft Shelley mit ihrem Mann Percy Bysshe Shelley in der Nachbarschaft von Lord Byron geweilt haben, dessen Idee, alle drei sollten sich in einer Gruselgeschichte versuchen, der Anstoß zur Entstehung ihres Frankenstein-Romans gewesen sei… (nachzulesen in der Einleitung zur erwähnten Ausgabe in der Reihe HEYNE-PAPERBACKS).
»Psch«, machte jemand.
»Ich soll still sein? Der Mann ist kein Mensch, das ist der
Leibhaftige, sein Schwanz ist ‘ne Schlange.«
»Mann, du hast einen in der Lampe! Du hast sie nicht alle,
Mann!«
»Der weiße Teufel hat hier nichts verloren, er gehört in die
Hölle.« Er sah noch einmal über die Schulter. »Scher dich zum
Teufel, du Giftschlange!«
Zwei weiße High-School-Jungs drehten dem Mann die Arme
auf den Rücken und beförderten ihn nach draußen. Jumbo
verschränkte die Arme vor der Brust und starrte an die
gestirnte Decke. Einer von den jungen Rausschmeißern kam
zurück und sah die Reihe hinunter.
»Tut uns leid, Sir. Alles in Ordnung?«
»Brutale Rohlinge«, sagte Jumbo.
»Wir spielen für Hilfsarbeiter, aber ein paar von den Negern
sind weiter nichts als Trunkenbolde.« Er salutierte. »Genießen Sie den letzten Film, Sir.«
»Wie spät ist es?«
Der Rausschmeißer wischte den Ärmel zurück, um die Uhr
abzulesen, eine alte Uhr mit Leuchtzifferblatt. (Was leuchtete, war das Radium auf den Ziffern und Zeigern.)
»Zehn Uhr zwanzig«, sagte er. »Zufrieden, Sir?« (Wenn
nicht, wollte er dann das Roxy mit dem Traktor in eine andere
Zeitzone schleppen?)
»Danke«, sagte Jumbo, und der Junge ging. »Daniel, Mister
JayMac hat den Zapfenstreich auf…«
Die Beleuchtung wurde gedimmt. Der Vorspann von Son of
Frankenstein lief an. Ich legte die Hand auf Jumbos Arm – laß uns noch ein bißchen bleiben, bettelte ich.
Neben und vor uns noch mehr leere Sitze. In unserer Reihe
saßen nur noch drei weitere Leute.
Basil Rathbone spielte Wolfgang Frankenstein, den Sohn des
Doktors, der im ersten Film das Monster geschaffen hatte. In
einer Szene brachte Lugosi als Ygor den Sohn Frankensteins
zum schlafenden Körper des Monsters.
»Cannot be destroyed. Cannot die. Your father made him live for always«, sagte Ygor. »Now he’s sick…«
Jumbo stöhnte.
»You mean to imply that that is my brother?« fragte
Rathbone, während sie bei Karloff standen, der in seiner
Schafsfellweste dalag.
∗
»But his mother was lightning«, sagte Lugosi.
Jumbos Knie rumsten gegen die Rückenlehne vor ihm. Er
begehrte auf wie ein Gorilla, der aus der Überseekiste will.
»Was habt ihr von diesen Alpträumen aus Zelluloid?« dröhnte
er für alle, die sich die Hälse verrenkten.
»Mach den Deckel drauf!« rief jemand.
»Noch so’n Besoffener«, sagte ein anderer. »Schwarz und
Weiß, das gibt Ärger.«
Die Ordner tauchten wieder auf – ziemlich verdattert, daß
ausgerechnet Jumbo, der Riese, der mit dem Kopf bis ans
Projektorfenster reichte, die Keimzelle des Aufruhrs war und
über den Film herzog, für den die unschuldigen Leute ihr
sauerverdientes Geld bezahlt hatten. Ich versuchte, Jumbo zu
beschwichtigen.
»Schande über diese blutrünstige Geschmacklosigkeit!«
schimpfte er. »Diese Hymne auf die Verderbnis und
Verballhornung! Meine Geduld ist erschöpft!«
∗ »Er kann nicht vernichtet werden. Kann nicht sterben. Ihr Vater hat ihn zum ewigen Leben erweckt«, sagte Ygor. »Jetzt ist er krank…«
»Wollen Sie damit sagen, daß das mein Bruder ist?« fragte Rathbone…
»Aber seine Mutter ist der Blitz«, sagte Lugosi.
Die Ordner wechselten Blicke. Wer sollte den Anfang
machen? Gott sei Dank hatte Jumbo sich noch nicht in Rage
geredet. Er hatte die bekümmerten Burschen gesehen.
»Sie brauchen nicht handgreiflich zu werden«, sagte er laut
genug. »Mein Freund und ich gehen sowieso.«
»Welche Freude«, sagte jemand mehrere Reihen vor uns.
»Da
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