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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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darf ich ja wieder blutrünstig sein.«
    Jumbo lavierte gangwärts, wobei er mich mitzog und sich bei
    jedem entschuldigte, der in Hörweite war. Ein Drittel der noch verbliebenen Zuschauer klatschte Beifall, als er die Tür zum
    Foyer öffnete. Das tat weh. Zwei ganze Filme lang hatte er
    sich gut benommen. Erst als ihn ein Betrunkener
    ›Giftschlange‹ genannt hatte, und erst als ihm das Gewissen
    wegen des von Mister JayMac verordneten Zapfenstreichs zu
    schlagen begann, und erst beim dritten Film, da hatte er die Stirn gehabt, gegen die Verstümmelungen und das ganze
    morbide Zeug zu protestieren.
    Und jetzt applaudierten die Zuschauer – ein Teil zumindest –
    weil er ging. Das war, als schlüge man ihm einen
    benzingetränkten Putzlumpen um die Ohren. Draußen im
    Foyer sah ich, wie sein Gesicht Welle um Welle von Entsetzen
    und Schmerz gezeichnet wurde. Zorn flammte in ihm auf. Er
    ließ mich stehen und riß die Türe wieder auf – um einen Sitz
    aus der Verankerung zu reißen und ihn mit Gebrüll in die
    Zuschauer zu schleudern?
    »He’s completely superhuman!« sagte Wolf Frankenstein eben. »The entire structure of the blood is quite different from
    ∗
    that of a normal human beeing!«
    »Kommen Sie«, sagte einer der Saalordner. »Sie lassen sich
    doch nicht von einer Horde Nigger provozieren.«

    ∗ »Er ist eigentlich gar kein Mensch!« sagte Wolf Frankenstein eben. »Sein Blut ist völlig anders zusammengesetzt als das eines normalen Menschen!«

    »Die würden Sie glatt zum Farbigen machen«, sagte der
    andere. Und beide Saalordner lachten.
    Jumbos Zorn klang ab. Er riß keinen Sitz aus der
    Verankerung. Er knurrte nur und machte eine große, müde,
    wegwerfende Geste. Er machte kehrt und schritt die Vitrinen
    mit den glänzenden Postern der kommenden Filme ab.
    Zusammen marschierten wir durch die schwüle Nacht zum
    Hotel zurück. Jumbo ging gebückt, mit hängenden Schultern,
    und trotzdem erinnerten seine Ausmaße an den von Karloff
    gespielten Unhold. An meinem ersten Tag in Highbridge war
    er für mich ein Riese im Overall gewesen. Jetzt, angeregt
    durch drei Filme und die abergläubische Bosheit eines
    Weinsäufers, begann ich mich zu fragen, ob er überhaupt ein
    Mensch war.
    Wieder auf unserem Zimmer, ging ich unter seinem
    schaurigen Blick zu Bett, den ich diesmal aber, neben Sloans
    Pseudotelegramm und Hoeys Steiftierziege, als Strafe
    obendrein empfand – dafür, daß ich das erste Spiel der ersten
    Serie gegen die Gendarmes verpatzt hatte.
    Ich konnte nicht einschlafen. Nach Jumbos Stöhnen und dem
    Qietschen und Knarren seiner Bettfedern zu urteilen, schien es ihm nicht anders zu ergehen. Seit dem Roxy war kein Wort
    mehr über seine Lippen gekommen. Eine Fliege an der Wand
    hätte sich sputen müssen, noch zu Lebzeiten
    dahinterzukommen, wer von uns beiden der Stumme war.
    Jumbo gab Laute von sich wie eine Kuh, die mitten im
    Muhen weggeschubst wird und ärgerlich aufschnaubt. Ich
    wälzte mich herum und knipste die Nachttischlampe an.
    Schatten sprangen an die Wände. Jumbo mußte mich hören,
    doch er lag mit dem Rücken zu mir, ein Ein-Mann-Gebirgszug.
    Ich stand auf und holte mir das kleine Notizbuch und den
    Bleistift. Ich schrieb eine Frage auf, dann die zweite, dann die dritte:

    Woher kommst du in Wirklichkeit?
    Hast du Verwandte, die noch leben?
    Hast du mal einen Unfall gehabt, der schuld ist, daß du so aussiehst?
    Ich ging mit dem Notizbuch um sein Bett herum und hielt es
    ihm so hin, daß er die Fragen lesen konnte. Er blieb auf der
    Seite liegen, las und erbat sich mit dem gekrümmten Finger
    mein Schreibzeug. Er schrieb:
    Zu viele Orte, um sie aufzuzählen.
    Nein.
    Nur meine ›Geburt‹.
    Er gab mir das Schreibzeug zurück und schloß die Augen. Ich
    setzte mich auf meine Bettkante und las immer wieder die
    Antworten, als habe er sie in einem Alphabet geschrieben, in
    dem jeder Buchstabe unsäglich viele Bedeutungen hat. Zu viele Orte, um sie aufzuzählen – Nein – Nur meine ›Geburt‹ – diese Worte verschlüsselten seine ganze mysteriöse Biographie.
    Warum hatte er Geburt in Anführungszeichen gesetzt? Mein Vermutung machte mir angst.

    25

    UM ACHT UHR FRÜH SCHNEITE Mister JayMac herein, um uns
    zu sagen, der ›Eigentümer‹ der Gendarmes, Mr. John Sayigh,
    wolle diesen Nachmittag ein Doppel spielen, um das
    ausgefallene Spiel von gestern nachzuholen. Der Wetterbericht
    – sonnig mit hohen Kumuluswolken – sei vielversprechend.
    »Und der Platz?«

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