Brücke der brennenden Blumen
brennenden Blumen.
Wenn Rodraeg sie gefunden hatte, weshalb dann nicht auch Eljazokad?
Waren sie denn nicht beide gleichzeitig neugeschaffen worden in der Höhle des Alten Königs durch die Magie des vergessenen
Zepters? Waren sie dadurch nicht Zwillinge, Drillinge mit Hellas, der Rodraeg
mit Gewalt aus dem Leben auf die Brücke gestoÃen hatte?
»Sei mein Hellas«, sagte Eljazokad zwischen Schreien zu Siusan, und
lieà diesen ihn weiter verstümmeln und zerstören, bis Schmerzen und Gebrüll wie
rotgetränkte Watte wurden und Eljazokad sich abstieà vom Tisch und hineinsprang
in die Agonie, sein flatterndes Herz als Opfergabe dargebracht in
durchscheinenden Geisterhänden.
10
Die Brücke der brennenden Blumen
Zuerst hörte er das Rauschen von Wasser und verspürte eine
Ahnung von Salz. Ihm wurde bewuÃt, daà es Meereswasser war. Für Augenblicke
fürchtete Eljazokad, das Stadtschiff von Tengan würde durch Ebben und Fluten zu
ihm aufsteigen, um ihn abzuholen für hundert oder tausend Jahre Frondienst auf
den riesigen, rissigen Decks. Doch das Rauschen verdichtete sich von der Fläche
zur Gebündeltheit von Strahlen. Das Wasser fiel und toste, und zwischen sich
spann es farblose Regenbögen und Netze aus tropfenförmigem Licht. Es waren
Wasserfälle, die da gischteten. Der kühl gesprühte Hauch benäÃte sein Gesicht.
Er schlug die Augen auf, roch Salz und Rauch. Die Hängebrücke, welche die
taumelnd stürzenden Wasser über einem tiefen Abgrund überspannte, stand in
Flammen. Sie war aus lebendigen Blumen geflochten. Die brennenden Blüten
verbreiteten einen wilden, zähen Duft. Das Wasser rauschte. Salz und Rauch.
Flammen prasselten wie eine Armee.
Auf der Brücke, mitten über den Tiefen, kauerte tatsächlich ein
Mann. Rodraeg, noch älter, noch grauer, noch zittriger als ohnehin schon.
Rodraeg krallte sich, eingehüllt in Qualm, meilenhoch über den
hinuntertrudelnden Wasserfällen, an einem brennenden Geländer fest und schien
nur darauf zu warten, daà die Brücke aufhören würde zu halten. Er war nackt,
und auch Eljazokad war nackt. Der Brand fraà und fraÃ, aber die Lebendigkeit
und Saftigkeit der Blumen hielten ihm immer noch stand.
Eljazokad betrat das schwankende, schwindelerregende Konstrukt und
tastete sich bis zu Rodraeg vor.
»Rodraeg!« rief er schon von weitem, und seine Stimme irrlichterte
zwischen den brausenden Kaskaden umher wie ein Blatt in einem Wirbelsturm.
»Rodraeg! Rodraeg! Ich bin es: Eljazokad!«
»El ⦠ja ⦠zo ⦠kad«, wiederholte Rodraeg matt. »Alles stürzt und
steht in Flammen. Alles brennt und kann sich nicht halten.«
»Komm. In der Richtung, aus der ich kam, wartet ein warmes Bett auf
dich. In Warchaim. Im Haus des Mammuts . Naenn ist
dort. Cajin. Sie warten darauf, daà du erwachst.«
»Naenn? Cajin?« Rodraeg lieà sich jeden Namen auf der Zunge zergehen
wie eine zartschmelzende SüÃigkeit. Er war mindestens siebzig, fünfundsiebzig
Jahre alt, seine Stimme ein rauhes, ungeübtes Raspeln, sein Leib ein Zeugnis
des Zerfalls. »Sind sie nicht längst gestorben?«
»Aber nein. In unserer Welt sind höchstens zwei Wochen vergangen.
Nichts hat sich verändert. Naenn hat immer noch nicht ihr Kind zur Welt
gebracht, aber es müÃte bald soweit sein. Wenn du dich nicht beeilst, verpaÃt
du das noch.«
»Ich ⦠kann hier nicht weg. Die Brücke steht in Flammen. Sie wird
mein Gewicht nicht halten, wenn ich mich bewege.«
»Sie hat mich auch gehalten. Sie ist viel kräftiger, als sie
aussieht. Komm hoch, ich stütze dich und geleite dich hinüber.«
Der Alte versuchte ihn abzuwehren. »Nein! Ich fürchte mich!«
Ja, dachte Eljazokad, ich
mich auch. Vor dem Leben. Denn was gibt es dort für uns zu erwarten auÃer
Freunden, die uns ins Herz schieÃen, und Fremden, die uns aufsägen, um unsere
Schmerzen zu destillieren. Dort gibt es auch für Mammuts keine Zukunft mehr.
Und dennoch â¦
Allein, daà ich jetzt hier bin ⦠daà es einen Ort
gibt hinter dem Gegangensein ⦠daà dieser Ort schön ist, erhaben und bewegt â¦
daà ich durch Siusans Folter hindurchdringen muÃte wie durch einen schweren
Vorhang, um Rodraeg zu finden ⦠ergibt einen Sinn ⦠und enthält ⦠den Trost
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