Brücke der brennenden Blumen
Dürreflüchtlinge, nur daà Destrisch
sich noch höher in den tiefliegenden Himmel schraubte. Sämtliche Gebäude waren
von derselben grau flimmernden Farbe, die höchsten von ihnen maÃen unglaubliche
zehn Stockwerke. Als Eljazokad näher kam, begriff er, weshalb die Gebäude zu
flimmern schienen. Sie waren nicht wirklich grau. Vielmehr waren sie weiÃ, aber
jedes einzelne war beschriftet, über und über bekrakelt mit Buchstaben, Sätzen,
ganzen Versepen in verschiedenen Schriften und Sprachen. Die Stadt war eine
Bibliothek, deren Bücher sie auf der Haut trug.
Leifreg hatte nicht übertrieben: die Bürger dieser Stadt schienen
tatsächlich versessen aufs Schreiben zu sein. Jeder dritte kritzelte oder
zeichnete etwas in Pergamente, die zahlreichen, mit Peitschen bewaffneten
Gardisten trugen Uniformen aus Pflanzenfasern und hohe Hüte aus Schöpfpapier.
Ãberall raschelte es. Die StraÃen waren mit beschrifteten Matten ausgelegt;
nirgendwo waren Tiere zu sehen, keine Zugpferde, keine Haushunde, aber dafür
wimmelte es von Menschen, die eilig hierhin und dorthin drängten und mit
Pinseln, metallenen Tintenfedern, Gänsekielen und Kohlestiften Sätze auf
Hauswände, Pergamentteppiche und die beschreibbare Kleidung von anderen krakelten.
Statt öffentlicher Trinkbrunnen fand Eljazokad nachtschwarze Tintenfässer. Die
Kohlestifte und Pergamente, die er selbst bei sich trug, stammten mit
Sicherheit von hier, und so gelang es ihm trotz seiner schmutzigen Kleidung,
unverdächtig zu erscheinen, Bestandteil zu werden des allgegenwärtigen
Geschreibsels.
Aus Eljazokads Tagebuch:
Ich weià nicht mehr, der wievielte Tag
in der Fremde. Es gibt keinen Tag und keine Nacht, ich werde müde und nenne das
dann Tag.
Ich habe heute eine Arbeit gefunden.
Nachdem mir klar geworden war, daà ich Hunger bekomme wie auf dem Kontinent
auch und daà mir niemand etwas umsonst schenken wird, habe ich einen Gardisten
um eine Möglichkeit zum Geldverdienen nachgefragt. »Kannst du schreiben?«
herrschte er mich an. »Ja«, antwortete ich wahrheitsgemäÃ. »Gut. Wir suchen
jemanden, der Fehler findet. Jeder gemeldete Fehler bringt einen Testel.«
Den Rest des Tages verbrachte ich mit der
Suche nach Schreibfehlern an den Wänden und auf den Bürgersteigen. Ich fand
vier, meldete sie alle, bekam vier kleine Münzen und konnte mir auf dem Markt
dafür einen Laib Brot und eine Kelle Quark kaufen. Gar nicht schlecht für den
Anfang.
Heute fand ich sechsundzwanzig Fehler.
Man hat mir sogar gedankt und mir fünf Testel extra gezahlt. Es geht mir ganz
gut hier. Ich könnte bleiben und genug Geld verdienen, um nach Melronia
weiterreisen zu können.
Den ganzen Tag über höre ich das
Knüllen und ReiÃen von Papier. Alle Menschen in Destrisch scheinen wahnsinnig
zu sein. Ich schlafe im siebten Stock eines gewaltigen Hauses, das niemandem zu
gehören scheint und in dem auÃer mir nur Fastenmönche hausen, die Geschriebenes
kopieren.
Niemand kann mir erklären, was das alles
soll. Es scheint schon immer so zugegangen zu sein in Destrisch. Wenn alles
vollgeschrieben ist, wird weià übermalt, damit man Neues schreiben kann.
Deshalb braucht man die Kopisten, damit nichts verlorengeht.
Beinahe vierzig Fehler heute. Ich weiÃ
mittlerweile, wo ich suchen muÃ. Wo die Schriften am jugendlichsten wirken,
finden sich die meisten Fehler.
Dann bekam ich es mit der Angst: Werden die
Fehlermacher vielleicht bestraft, auf meine Anzeige hin? Kommen sie in den
Räderwald? Immer wieder werden welche abgeführt, mindestens zweimal am Tag
werde ich Zeuge von Festnahmen.
Aber nein. Niemand kann die Fehlermacher
identifizieren. Die Schriften sind oft schon Tage alt. Die Fehler werden
berichtigt, und es ist gut.
Die Verhafteten verbrechen etwas anderes.
Ich finde nicht heraus, was.
Heute habe ich Melronia gesehen. Vom
Dach eines der höchsten Gebäude aus, am Nordrand der Stadt. Es leben Frauen auf
diesem Dach, deren Beruf es ist, Tauben und Stare über der Stadt abzuschieÃen.
Schöne Frauen. Freigiebige Frauen.
Melronia ist rot und ragt tatsächlich in die
Wolken. Nicht zu fassen, daà es kein Berg, sondern ein Bauwerk ist, aber es
scheint aus Abertausenden von Türmen und Zinnen zu bestehen. Ich will dorthin.
Sabhe, eine der Gefiederten, möchte mich begleiten.
Vor dem Schlafengehen blicken wir
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