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Brücke der brennenden Blumen

Brücke der brennenden Blumen

Titel: Brücke der brennenden Blumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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vierzehnten Stock des Südwestflügels abzweigten. Tjarka war noch
niemals in ihrem Leben so hoch – mehr als dreißig Schritte – über dem Erdboden
gewesen, Bestar kannte Ausblicke wie den aus seinem schießschartenförmigen
Fenster höchstens aus waghalsigen Kletterpartien in den Klippenwäldern. Einzig
Eljazokad, der vor einem halben Mond auf einer Gribaille hoch über das Land
geritten war, nahm die Lage seines Zimmer kaum noch als etwas Besonderes wahr.
Dennoch notierte er, nachdem Tjarka und Bestar zu ihm gekommen waren, um ihm
begeistert ihre Eindrücke mitzuteilen, mehrere Gedanken.
    Aus Eljazokads Tagebuch:
    Der Vogelblick, der Forker Munsen
versprochen worden war – in Melronia gehört er zum Alltag. Und es geht noch
viel höher hinauf, mindestens noch fünfzig weitere Stockwerke, schätze ich, bis
zu den Wolken.
    Sind wir hier dann alle der hängende Mann,
weil unsere Perspektive neu und ungewohnt ist? Betrachtet man Melronia verkehrt
herum, wird der Innenhof zum Keller, der in unbekannte Tiefen führt.
    Das Leuchten, das den Kopf des Gehängten auf
der Karte namens Schlüssel zwölf umgab, fällt mir wieder ein. Vielleicht bin
ich dieser Mann, der aus seinem Kopf heraus Licht entstehen läßt im Laufe der
Tage. Unter seinem Kopf lag auf dem Boden eine Karte des Kontinents. Das
bedeutet, er schwebte über dem Kontinent, befand sich außerhalb, so wie ich
jetzt. Warum ist mir das nicht damals bei den Unsteten aufgefallen, daß diese
Karte mich zeigt?
    Weil ich damals noch im Kontinent wurzelte
und kein Licht mehr hatte. Erst hier, in dieser Totenwelt, findet es schubweise
wieder zu mir und läßt sich als Werkzeug benutzen, damit ich weiterkommen kann.
    Wurzellos. Haltlos. Hoffentlich nicht
grundlos.
    Zum Essen führten ihre Diener sie in einen festlich
beleuchteten Saal acht Stockwerke tiefer. Außer ihnen aß dort niemand, aber die
drei Diener tischten ihnen raschelnd und klappernd aus einer angrenzenden KücheSchalentiersuppe, Wildbret an krustig überbackenen
Erdäpfeln, weißes Brot, Tomatensalat mit Öl und sehr weichen und würzigen
Weißschimmelkäse auf, dazu rosafarbenen Wein und Quellwasser, das leicht mit
einem sprudelnden Bittersalz versetzt war. An diesem Wasser schnupperte Bestar
lange und argwöhnisch, als könnte es vergiftet sein, doch Tjarka griff
heißhungrig und durstig zu, und dann wollte Bestar nicht mehr zurückstehen. Die
drei schlugen sich die Bäuche voll wie schon lange nicht mehr.
    Â»Findet ihr nicht auch«, brachte Bestar zwischen den Bissen hervor,
»daß hier sehr wenig Menschen zu sehen sind? Auch wenn man aus unseren Fenstern
in den Hof runterblickt, sieht man nie mehr als vier oder fünf vornehme
Gestalten gleichzeitig. Und dieser Saal – Tische und Stühle für hundert oder mehr,
aber niemand da außer uns.«
    Â»Vielleicht bleiben die Melronianer so gerne unter sich, daß sie
langsam aussterben«, wagte Eljazokad eine Theorie.
    Â»Das Essen jedenfalls ist köstlich«, schmatzte Tjarka. »Fork hat
mich einmal nach Miura mitgenommen und dort zum Hühnchenessen eingeladen, aber
das war gar nichts gegen das hier.«
    Maitr’ Calmant trat ein und gesellte sich zu ihnen. Er trug immer
noch das mönchsartige graue Gewand und war somit – von den Dienern abgesehen –
die bei weitem am unauffälligsten gekleidete Person, die sie bislang bei Hof
gesehen hatten. »Ich habe mit dem König gesprochen«, begann er, »und er hat
sein Interesse an einer Audienz bekundet. Jedoch muß die Etikette eingehalten
werden, und das bedeutet, daß Ihr mindestens einhundert Punkte vorzuweisen
haben müßt, bevor Ihr Euch mit dem König in ein und demselben Raum aufhalten
dürft.«
    Â»Wieviele Punkte haben wir denn vorzuweisen?« erkundigte sich
Eljazokad.
    Â»Keinen, denn Ihr seid nicht von hier.«
    Â»Richtig. Also von mir aus kann ich mich mit dem König auch durch
eine Tür hindurch unterhalten, ich muß nicht unbedingt im selben Raum sein.«
    Der Maitr’ lächelte. »Ihr seid ein Spaßvogel, womöglich könntet Ihr
Euch als Hofnarr erste Punkte verdienen. Könnt Ihr Lieder dichten? Balladen
verfassen? Habt Ihr handwerkliche Fähigkeiten, die sonst niemand hat?«
    Â»Ich kann Licht machen, ohne einen Funken zu erzeugen.«
    Â»Ja, davon hörte ich bereits. Aber das bringt Euch keine

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