Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
musterte sie eingehend und kratzte sich am Kinn.
»Ein kleiner Trupp wird genügen«, stellte er fest. »Eine Erkundungsexpedition. Wir müssen die Lage sondieren, bevor wir Maßnahmen ergreifen. Falls wir dabei Schaden anrichten können, umso besser!«
»Wie kommen wir über den Fluss?«, fragte Avi. »Da der Nebel sich verzogen hat, wird man uns sofort entdecken.«
»Ich beabsichtige nicht, ein Boot zu nehmen«, antwortete Oren. »Das, was mir vorschwebt, ist ein wenig außergewöhnlich. Blink, bist du dabei?«
»Versuche nicht, mich aufzuhalten«, entgegnete eine Stimme.
Zunächst dachte Avi, der Stadtplan habe gesprochen, doch im nächsten Moment trat eine gedrungene Gestalt dahinter hervor. Der Mann trug eine Ritterrüstung, die ihn von Kopf bis Fuß bedeckte und beim Gehen klapperte. Sein Helm war mit Stacheln bewehrt, und er hatte einen bedrohlich wirkenden Streitkolben in der Hand. »Bis in den Tod, Gebieter«, verkündete er. Als er die Waffe reckte, kippte er beinahe um. »Die Rache ist mein.«
»Blink?«, meinte Avi. »Bist du das?«
Die Gestalt klappte den Gesichtsschutz des Helms hoch, so dass vom Weinen gerötete und verschwollene Augen zu sehen waren. Es konnte unmöglich ein verkleideter Kundschafter sein.
»Ich bin es in der Tat«, antwortete Blink, als hätte er Avis Gedanken gelesen. »Falls du Zweifel haben solltest, schau dir an, wie meine Hand zittert. Und zwar vor Wut.«
»Das mit deinem Bruder tut mir leid«, erwiderte Avi.
»Nicht so leid wie mir.«
Nachdem sie die Karte auf der Empore studiert hatten, ging es wieder quer übers Palastgelände in die Waffenkammer, wo Avi und Hannah mit neuen Rüstungen ausgestattet wurden. Hannah entschied sich für eine Armbrust, Avi für Schwert und Schild. Oren, der ebenfalls ein Kettenhemd trug, schnallte sich ein langes Schwert um.
Hannah streichelte Pennie. »Nein«, sagte sie. »Es ist zu gefährlich. Du bleibst hier.«
Sie richtete sich auf und befestigte eine Panzerplatte an ihrem Unterarm, indem sie den Riemen mit den Zähnen festzog. Das Pennapor saß auf dem Boden und beobachtete sie schmollend. Ihr kurzes Fell nahm die Farbe von mattem Metall an, als sie sich vor einen Schild kauerte.
Oren streckte die behandschuhte Hand aus und sah alle nacheinander an. »Jetzt ist die letzte Gelegenheit, einen Rückzieher zu machen.«
Avi legte die Hand auf die seines Vaters. Hannah folgte seinem Beispiel.
»Bist du sicher?«, fragte Avi.
Sie verdrehte die Augen und lächelte.
»Blink«, meinte Oren. »Wir sind bereit.«
Der Herr über den Raum trat vor, grinste und hob den Arm. »Der Trick wird euch gefallen.«
Der Raum verschwand, sobald seine Hand die der anderen berührte.
Kapitel 32
A vi geriet ins Stolpern. Er stand bis zu den Knien in einer glitschigen Schlammpfütze. Oren und Hannah hatten ebenfalls ihre liebe Not, im Morast das Gleichgewicht zu halten. Mit schmatzenden Schritten setzte Avi einen Fuß vor den anderen und erreichte schließlich, gefolgt von seinen Mitstreitern, eine mit Gras bewachsene Böschung. Blink erwartete sie im Schutz einer bröckelnden Mauer. Während die drei von den Oberschenkeln abwärts mit Schlamm bedeckt waren, wies Blinks Rüstung nicht den kleinsten Fleck auf.
»Warum bist du denn nicht im Matsch gelandet?«, fragte Hannah.
Blink zuckte mit den Achseln. »Tja, es ist keine exakte Wissenschaft.«
»Sprecht nicht so laut«, flüsterte Oren.
Er beugte sich vor und krümmte den Rücken. Sein Körper schrumpfte und nahm eine andere Gestalt an. Das Kettenhemd verwandelte sich in seidiges graues Fell, und ihm wuchsen zwei lange Schlappohren aus dem Kopf. Innerhalb von fünf Sekunden war aus ihm ein Kaninchen geworden.
Ich bin sein Sohn!, dachte Avi. Halb Kobold, halb Nymph. Und dennoch verfüge ich nicht über Fähigkeiten wie diese.
Das Kaninchen hoppelte durch ein Loch in der Mauer und war fort.
»Lasst uns versuchen, etwas Hilfreiches in Erfahrung zu bringen, während er weg ist«, schlug Avi vor.
Sie schlichen die Mauer entlang bis zu einer Lücke, wo Avi sich duckte und hindurchspähte.
Offenbar befanden sie sich an der Mündung eines trüben Baches, der zum Fluss führte. Am anderen Ufer konnte Avi nur Felder und einige verfallene Gebäude erkennen. Im Nordosten waren die Umrisse des Westminster Palace gerade noch auszumachen.
Jenseits der Mauer sah man einen verfallenen Fischereihafen. Einige hundert Meter weiter ragten eingesackte Bootsstege windschief aus dem seichten Wasser. Umgedrehte
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