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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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lag, drehte sich um die meist nicht laut ausgesprochene Sorge, dieses vereinte Deutschland könne die gewohnte Politik der Zurückhaltung aufgeben.
    Das kann man an einem Konflikt deutlich machen. Vor der deutschen Einheit verfügten Frankreich, England, Italien und Deutschland über die gleiche Anzahl von Abgeordneten. Mit nunmehr 80  Millionen Deutschen stellte sich diese Frage neu. Das erwies sich rasch als ein ganz großes Problem vor allem für die genannten Staaten, übrigens selbst für einen so überzeugten Europäer wie François Mitterrand.
    LINDNER
    Das ist ein Problem, das in jeder Föderation auftaucht. Im Bundesrat haben wir eine solche Verzerrung und erst recht im amerikanischen Senat.
    GENSCHER
    Man stand damals vor der grundsätzlichen Frage, ob man die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion von der mangelnden Fähigkeit und Bereitschaft abhängig machen sollte, auch die Struktur der Union zu verändern und die Europäische Union weiter zu integrieren. Das war eine politische Entscheidung.
    LINDNER
    Sie waren dagegen, auf eine politische Union zu warten.
    GENSCHER
    Ja. Mein Handeln war in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre sehr stark bestimmt von politischen und von ökonomischen Erwägungen. Diese hielt ich für so schwerwiegend, dass ich mich entschloss, der Entwicklung hin zu Wirtschafts- und Währungsunion einen neuen Impuls zu geben. Zögerlichkeit gab es auf allen Seiten – auch in der Bundesrepublik Deutschland. Was waren meine Motive?
    Erstens politisch: Die Ost-West-Annäherung in Europa machte immer größere und immer schnellere Fortschritte. Vergessen Sie nicht, dass es die gleiche Zeit war, in der im Westen auch in Deutschland darüber gestritten wurde, wie ernst es Gorbatschow wirklich mit seinen Erklärungen war. Bis in das Jahr 1989 hinein verlangten die Engländer, aber auch die Amerikaner und Teile der Bundesregierung die Modernisierung nuklearer Kurzstreckenwaffen. Ein solcher Schritt hätte sich wie ein eiskalter Tau auf das zarte Pflänzchen »europäisches Haus« gelegt. Ich dagegen vertraute Gorbatschow, hielt es aber für notwendig, unter der Ost-West-Annäherung die Integration Westeuropas nicht leiden zu lassen. Deshalb legte ich am 26 . Februar 1988 ein Memorandum für die Wirtschafts- und Währungsunion vor. Ich unternahm diesen Schritt in eigener Verantwortung als Bundesminister des Auswärtigen, um in der deutschen Präsidentschaft in der EU im ersten Halbjahr 1988 unumkehrbare Fakten in Richtung Integration zu schaffen. Die Aktion gelang. Beim Europäischen Rat in Hannover im Mai 1988 wurden erste Beschlüsse in dieser Richtung gefasst. Zauderer und Bedenkenträger hatten das Nachsehen.
    Und zweitens ökonomisch: Ich hatte die Sorge, wenn der gemeinsame Binnenmarkt entsteht und jedes Land seine eigene Zentralbank hat, dann wird die Auf- und Abwertung zunehmend zu einem Instrument der Marktverzerrung werden. Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit würde sich ausgleichen lassen, indem die eigene Währung abgewertet wird …
    LINDNER
    … ein Mechanismus, den manche heute als vermeintlich leichte Antwort auf die Euro-Krise schon wieder vermissen …
    GENSCHER
    Wir mussten und müssen aber daran interessiert sein, die Funktionsfähigkeit des Marktes und die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Das war nur möglich, wenn die Währung dem Markt folgt. Deshalb wollte ich keinen Aufschub bei der Währungsunion, obwohl es zu einer politischen Union nicht gekommen war. Wir vertrauten darauf, das eine werde sich aus dem anderen entwickeln.
    LINDNER
    Wie haben Sie damals übrigens Helmut Kohl erlebt? Haben Sie in der Europapolitik an einem Strang gezogen?
    GENSCHER
    Es ist ja nicht unbemerkt geblieben, dass Helmut Kohl und ich trotz eines guten persönlichen Verhältnisses in außenpolitischen Fragen manchmal unterschiedliche Positionen vertreten haben. Das war anfänglich bei den Beziehungen zu Michail Gorbatschow so oder auch bei dem Abkommen über das Waffensystem Pershing 1 a. In der Europapolitik aber haben Kohl und ich immer gemeinsame Sache gemacht. Ja, hier haben wir ebenso wie bei der Deutschen Einheit an einem Strang gezogen.
    LINDNER
    Zurück zur Währungsunion: Für einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt war der Maastricht-Vertrag ein wichtiger Schritt und kein schlechter, wie ich immer noch und trotz allem finde. Makroökonomische Leitplanken für die Währungsunion und Unabhängigkeit der Zentralbank nach dem Vorbild der Deutschen

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