Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Bundesbank – die Papierform stimmt ja. Der Harvard-Finanzökonom Kenneth Rogoff hat insbesondere die Stabilitätskriterien einmal als brillante Erkenntnis bezeichnet. Das Problem sei nur gewesen, dass die Europäer die eigenen Ideen gerne verrieten. Das günstigere Zinsniveau nach Einführung des Euro haben Staaten wie Griechenland nicht genutzt, um bei der Entschuldung der eigenen Haushalte voranzukommen, sondern um erst recht die öffentlichen Leistungen mit günstigen Krediten kräftig auszudehnen – weit über die Tragfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft hinaus.
GENSCHER
Und wir müssen festhalten, dass Deutschland und Frankreich mit die ersten waren, die das Stabilitätskriterium mit mehr als drei Prozent Haushaltsdefizit verletzt haben. Andere danach noch mehr, ja. Aber das kennt man. Einer fängt mit schlechtem Beispiel an, die anderen folgen, und zwar exzessiv.
LINDNER
Vor allem hätte Griechenland nicht in die Währungsunion aufgenommen werden dürfen.
GENSCHER
Es war richtig, dass Griechenland Mitglied der Europäischen Gemeinschaft wurde. Die Aufnahme in die Währungsgemeinschaft war ein anderes Thema.
LINDNER
Die Voraussetzungen waren nicht gegeben, die Zahlen, wie wir spätestens heute wissen, geschönt. Aber jetzt ist Griechenland drin – das ist eine Realität, mit der wir umgehen müssen. Dennoch wird immer wieder vorgeschlagen, Griechenland solle schnell aus der Eurozone aussteigen, um dann die neue Drachme abzuwerten. Glauben Sie, dass eine solche Operation ohne immense ökonomische Risiken ablaufen könnte?
GENSCHER
Nein. Solche Gedankenspiele sind unverantwortlich. Sie zerstören das sich langsam wieder entwickelnde Vertrauen. Solche Vorschläge unterschätzen auch die Anstrengungen, die in anderen Ländern derzeit unternommen werden. Die griechischen Bürger, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, die Gehalts- und Rentenkürzungen verkraften müssen – denen kann man doch nicht vorwerfen, über ihre Verhältnisse zu leben. Ich sehe trotz aller Probleme in Griechenland eine große Reformbereitschaft und in Samaras einen entschlossenen griechischen Ministerpräsidenten.
LINDNER
Ich halte die Folgen des Ausscheidens eines Mitglieds aus der Währungsunion auch für uns selbst alles andere als trivial. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob es nicht einen Domino-Effekt geben würde, in dessen Folge ein Staat und eine Bank nach der anderen in Schwierigkeiten gerieten. Dazu muss es nicht kommen, ausschließen kann man es aber nicht. Wie chaotisch die Prozesse dann ablaufen, hat der Fall Lehman Brothers gezeigt. Und wenn eine solche Ereigniskette in Gang kommt, dann gibt es kein Halten. Ganz abgesehen davon, dass zudem politische Risiken bestehen: Wie wären Auswirkungen auf den europäischen Integrationsfortschritt? Wie würde sich die politische Lage innerhalb Griechenlands entwickeln – als EU -Mitglied und NATO -Partner? Wollen wir Instabilität in Europa hinnehmen oder gar provozieren? Insofern kann man ein solches Szenario nicht wünschen.
GENSCHER
Wir sollten unsere griechischen Partner bei ihren Reformen unterstützen – auch im eigenen Interesse. Das alles mit Solidarität und mit Geduld, aber auch durch die Tat. Es fehlen dort noch immer administrative Strukturen, die bei uns selbstverständlich sind – ich denke an das Katasterwesen und eine funktionierende Steuerverwaltung. Es ist darüber hinaus nicht einzusehen, dass die Reeder durch die Verfassung von der Steuerpflicht befreit sind. Bei all diesen Fragen können wir helfen und zu mutigen Reformen ermuntern.
LINDNER
Einverstanden. Beim Aufbau von Bürokratien macht uns Deutschen keiner etwas vor. Bei der Deutschen Einheit haben wir Erfahrungen gesammelt, die anderen helfen können. Dabei kommt es aber sehr auf das Fingerspitzengefühl an. Genauso wie bei uns die Ressentiments gegenüber Südeuropa wieder aufflammen, haben wir in Griechenland teils abstoßende Demonstrationen gegen Deutschland mit Nazi-Symbolen gesehen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, wir wollten der Finanzbeamte, der Sparkommissar für ganz Europa werden. Dafür sitzen historische Vorbehalte nach wie vor zu tief.
GENSCHER
Dem ist nichts hinzuzufügen. Auch in einer Notlage darf man einem Volk nicht seinen Stolz, seine Würde nehmen. Daraus entsteht neues Misstrauen.
LINDNER
Vom europäischen Wir-Gefühl, das Sie eben eingefordert haben, sind wir weiter entfernt denn je. Europa ist in mindestens drei Hinsichten gespalten: erstens in
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