Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
finanziellen Möglichkeiten gebraucht.
GENSCHER
Aber angesichts dieser Lage muss doch gerade eine liberale Partei wie unsere offen aussprechen, dass die Organisation unserer Bildungspolitik über die sogenannte Selbstkoordination in der Kultusministerkonferenz versagt hat. Schon in dem Begriff Selbstkoordinierung liegt doch das Eingeständnis, dass ein Land von der Größe Deutschlands gleiche Rahmenbedingungen für die Bildungspolitik braucht. Und wenn dem so ist, dann kann das mit den Mitteln eines föderalen Staates geregelt werden – unter Mitwirkung der Bundesländer. Die Bürokratie der Kultusministerkonferenz ist übrigens die einzige in Deutschland, die ohne parlamentarische Kontrolle existiert …
LINDNER
… und trotzdem wie ein Ministerium aufgebaut ist, mit einem beachtlichen Apparat, einer Loseblattsammlung ihrer Beschlüsse …
GENSCHER
… ist ein Unikum. Hier hat die FDP die Aufgabe, der Katze die Schelle umzuhängen und klar zu benennen, was nicht in Ordnung ist und der Reform bedarf.
LINDNER
Die Leistungsbilanz der Kultusministerkonferenz wird von vielen kritisch gesehen, die Alternativen zu ihr sind aber höchst umstritten. Das muss man leider einräumen. Ein sehr relevanter Teil unserer Partei setzt beispielsweise auf eine stärkere Re-Föderalisierung der Bildungspolitik. Das heißt: Die Kultusministerkonferenz abschaffen und durch Staatsverträge der Länder ersetzen. Mich überzeugt das nicht. Administrativ dauert das Aushandeln von Staatsverträgen noch länger …
GENSCHER
Unendlich lange!
LINDNER
Jedes Land hätte dann ein Vetorecht. Das ist keine Verbesserung zum Status quo. Ich würde stattdessen zum einen die Kultusministerkonferenz verschlanken. Entscheidungen sollten nicht mehr wie jetzt einstimmig getroffen werden, sondern mit Mehrheit. Das bringt schon Bewegung. Zum anderen ist mir die Veranstaltung – und auch die Bildung insgesamt – zu politikzentriert. Warum also nicht einen deutschen Bildungsrat einführen, der strategische Fragen diskutiert und dem neben den üblichen Verdächtigen auch Praktiker und Wissenschaftler angehören.
GENSCHER
Gerade unabhängige Persönlichkeiten aus dem Wissenschafts- und Bildungsbereich gehören dort hinein. Ein deutscher Bildungsrat, besetzt mit unabhängigen Persönlichkeiten aus dem Wissenschafts- und Forschungsbereich, muss zu einer zentralen Forderung der FDP werden. Die Kultusministerkonferenz sollte in Zukunft in Struktur und Zuständigkeit den anderen Fachministerkonferenzen der Länder entsprechen. Ich habe als Bundesinnenminister an allen Sitzungen der Innenminister der Länder als Gast teilgenommen. Die Erfahrungen, die ich dabei gemacht habe, gehören zu den wertvollsten meines politischen Lebens. So konnten wir gemeinsam die Herausforderung des politischen Terrorismus der siebziger Jahre bestehen. Wir konnten wichtige Reformen auf den Weg bringen, ohne die Lähmung durch eine anonyme, sich selbst bestätigende Bürokratie.
LINDNER
Sachkundige, die aus einer praktischen Perspektive, auch durchaus mit längerfristiger Orientierung, im internationalen Vergleich und mit Kenntnis der Situation vor Ort beschreiben, was Not tut. Darüber kann man vielleicht auch ausgetretene Pfade verlassen und innovativer denken. Wir haben so etwas schon im Hochschulbereich – den Wissenschaftsrat. Der gibt Empfehlungen und akkreditiert Hochschulen nach gewissen Qualitätsmerkmalen. Ein solcher deutscher Bildungsrat mit unabhängigen Köpfen sollte analog die wichtigen Leitplanken der Bildungspolitik, etwa Standards für Abschlüsse, so definieren, dass die Qualität im Schulalltag und die Mobilität über die Ländergrenzen hinweg verbessert werden. Es ist ein Anachronismus, dass ein Lehrer, der in Mecklenburg-Vorpommern sein Examen in Physik gemacht hat, nicht ohne weiteres in Baden-Württemberg eine Anstellung finden kann. Zwischen Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern mag vieles unterschiedlich sein, aber die physikalischen Naturgesetze sind dieselben.
GENSCHER
Was meinten Sie mit »zu politikzentriert«, Herr Lindner? Der Wissenschaftsrat muss auch politisch denken – meinen Sie Parteipolitik oder wollen Sie den Staat stärker heraushalten aus diesem Bereich?
LINDNER
Für mich ist die Bildungspolitik zu oft ein Instrument gesellschaftspolitischer Vorstellungen einzelner Parteien. Das führt dazu, dass nach Regierungswechseln auf der Länderebene jedes Mal die Bildungspolitik von links auf rechts oder von rechts
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