Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Sprache bei Kindern aus zugewanderten Familien. Der Spracherwerb ist der Schlüssel für den späteren Erfolg in der Schule.
Ich bin auch dafür, die Ausbildung der Kräfte in KiTas und Grundschulen aufzuwerten. Im Ausland ist für den Elementarbereich beispielsweise ein pädagogischer Hochschulabschluss obligatorisch. Mindestens für die Leitungskräfte der Einrichtungen sollte das bei uns auch Standard werden. Deren Aufgaben haben sich massiv gewandelt: Früherkennung von Förderbedarf, Verknüpfung mit anderen Einrichtungen des sozialen Netzes, Elternarbeit – das erfordert andere Qualifikationen.
GENSCHER
Einverstanden. Das sagt mir auch Klaus Kinkel, der als Chef der Telekom-Stiftung viele Projekte auf den Weg bringt. Das ist für sich genommen übrigens auch ein Beleg für die Bedeutung des Themas: dass sich ein ehemaliger Außenminister nach seiner aktiven Zeit vor allem um Bildung und Wissenschaft kümmert.
LINDNER
Diese Aufgabe ist zentral, auch um die eklatante Bildungsungerechtigkeit in Deutschland zu überwinden. Die sozialen Aufstiegschancen hängen bei uns in nicht zu akzeptierender Weise von der Herkunft ab. Ich glaube, das liegt daran, dass wir uns stark orientiert haben auf den Bereich der weiterführenden Schulen. Aber das Fundament des Bildungssystems, wo über einen chancengerechten Einstieg in das Leben entschieden wird, ist vernachlässigt worden. Der ganze Bereich der Kindertageseinrichtungen, der vorschulische Bereich, Grundschule – der ist in seiner Bedeutung unterschätzt worden.
In meiner Zeit als Fachpolitiker für Kindergärten habe ich regelmäßig im Sommer in KiTas hospitiert. Die hellen und manchmal auch sehr hellen Stimmen der Kinder, die durcheinanderlaufen, da zieht eines am Ärmel, dann weint ein anderes – nach diesen Tagen in der KiTa habe ich eine einwöchige Wehrübung bei der Luftwaffe gemacht. Das war im Vergleich Erholungsurlaub. Und ein startender Jet ist sicher nicht lauter als ausgelassene Kinder im Sand. Ich habe großen Respekt gewonnen vor allen, die sich hier engagieren.
GENSCHER
Das will ich ausdrücklich unterstreichen. Und da unterscheiden wir uns beispielsweise von Frankreich, wo bereits zu Zeiten von Charles de Gaulle anders gedacht wurde. Auch um den Frauen bessere Möglichkeiten zu einer Berufstätigkeit zu eröffnen. Wenn ich die berechtigten Forderungen nach der Gleichberechtigung der Frau höre, dann fällt mir immer auch der Begriff gleiche Ausbildungs- und Bildungschancen ein. Meine Mutter hatte in unserem Dorf vor dem Ersten Weltkrieg die einklassige Volksschule besucht. Dann arbeitete sie auf dem elterlichen Bauernhof bis zur Verheiratung mit meinem Vater. Genauso erging es ihrer Schwester. Der einzige Bruder aber, bei dem von Anfang an feststand, dass er den Hof übernehmen würde, besuchte wie selbstverständlich und wie zuvor auch mein Großvater die Höhere Schule. Als mein Vater 1937 starb, ich war neun Jahre alt, stand meine Mutter ohne berufliche Ausbildung vor erheblichen Schwierigkeiten.
LINDNER
Heute haben Frauen andere Probleme. Sie sind bestens ausgebildet, können aber, sobald sie Mutter werden, oft in ihrem Beruf nicht mehr voll reüssieren, weil sie keine adäquaten Betreuungsplätze für ihre Kinder finden. Nicht nur rein quantitativ stimmt das Angebot nicht, auch qualitativ muss es besser werden. Hierzulande wird die Arbeit in den KiTas bis heute gelegentlich verniedlicht als eine Form der Betreuung, der Pflege, des Spiels – dabei geht es für die Kinder um das Erlernen von Fähigkeiten, die entscheidend sind für ihre Persönlichkeitsbildung: zuhören können, den Sinn des Gehörten verstehen können, nicht fremdeln, sich konzentrieren können.
Damit kein Missverständnis entsteht: Ich meine nicht das Vorbild der französischen École Maternelle, in der den Kindern mit vier Jahren schon das Alphabet und das Zählen eingebimst wird. Managerkurse für Kleinkinder brauchen wir nicht. Mir geht es darum, sie zu befähigen, später in der Schule mitarbeiten zu können; dass sie insbesondere die deutsche Sprache sprechen – wenn diese Grundlagen nicht schon vor der Einschulung gelegt werden, dann gelingt das auch nicht mehr während der Grundschule. Das ist aus meiner Sicht das Kernproblem, weshalb wir gegenwärtig eine so geringe Durchlässigkeit in der Gesellschaft und noch immer eine so starke Herkunftsorientierung im Bildungssystem haben. Der familiäre Hintergrund entscheidet gerade bei Zugewanderten über den
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