Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
ersten Hälfte des 20 . Jahrhunderts lassen grüßen und haben hoffentlich die erforderliche abschreckende Wirkung. Wir dürfen jetzt nicht durch altes, machtpolitisches Denken das Klima für das Entstehen einer neuen Weltordnung belasten. Wenn andere Teile der Welt ihren Platz an der Sonne einfordern, dann ist das nicht machthungriges Vorherrschaftsstreben, sondern die Erhebung eines legitimen Teilhabeanspruchs, der ernst zu nehmen ist. Er ist zu akzeptieren und er muss die Grundlage der Verständigung über die Grundfragen und Grundregeln der neuen Weltordnung sein.
Für das europäisch-asiatische Verhältnis heißt das, auch wir, die Europäer, sollten uns um diese Weltregion kümmern, weil sie ein wachsender bedeutungsvoller Partner ist. Wir sollten sie nicht in die Rolle eines Rivalen drängen. Hier liegt eine wichtige Aufgabe für die europäische Diplomatie.
Ebenso wichtig ist es, unsere Sicht der Dinge auch in das westliche Bündnis einzuführen. Beginnend mit den sechziger Jahren ist es uns gelungen, mit der Ostpolitik und dem KSZE -Prozess die Rivalität und Konfrontation in Europa schrittweise zu überwinden. Das war damals »neues Denken«, das nun zu übertragen wäre auf die Entwicklung einer neuen Weltordnung.
LINDNER
Wen meinen Sie mit »wir« und was schlagen Sie vor?
Alternativen zum Rivalitätsdenken
GENSCHER
Herr Lindner, in der Mitte der sechziger Jahre begann im Westen, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA , ein Prozess des Umdenkens. Man suchte nach einem Ausweg aus der Konfrontation. Das westliche Bündnis setzte unter Vorsitz des belgischen Außenministers Pierre Harmel eine Kommission ein, die ein politisches und sicherheitspolitisches Konzept für die Überwindung der Spaltung Europas erarbeiten sollte. 1967 erblickte der Harmel-Bericht das Licht der Welt. Er schlug vor: erstens gesicherte Verteidigungsfähigkeit durch ausreichende militärische Fähigkeiten der NATO ; zweitens Dialog und Zusammenarbeit mit dem Osten zur schrittweisen Überwindung der Gegensätze mit dem Ziel der Schaffung einer gesamteuropäischen Sicherheitsordnung.
In Ausführung dieses Konzepts begann die SPD / FDP -Regierung 1969 die Politik der Ostverträge, die in den KSZE -Prozess, also dem Dialog von 25 Staaten aus Ost und West über die künftige Zusammenarbeit, mündete und später den Kalten Krieg beendete. Allerdings gab es in Europa und in den USA immer wieder Kräfte, die sich an die Philosophie des so erfolgreichen Harmel-Berichts nur höchst ungern erinnert haben.
Es ist Zeit, und ich fordere das regelmäßig, einen neuen Harmel-Bericht, sozusagen Harmel II , zu erarbeiten mit einem Doppelkonzept: Zum einen brauchen wir gesamteuropäische Sicherheitsstrukturen, die das ganze Europa, also Russland eingeschlossen, umfassen und natürlich die USA als Mitglied der NATO und auch der OSZE .
Das andere Element von Harmel II sollte ein Konzept für eine globale Kooperationsordnung entwickeln, das die Haltung der westlichen Staatengemeinschaft zu einer neuen, überall als gerecht empfundenen Stabilitätsordnung enthält und zugleich die Rolle des westlichen Bündnisses in der sich grundlegend verändernden Welt definiert. Für beide Elemente sollte gelten, was mitten im Kalten Krieg schon NATO -Konzept war, nämlich dass Rüstungskontrolle und Abrüstung integrale Bestandteile unserer Sicherheitspolitik sind. Meine Überzeugung ist, mit einer solchen Entwicklung eines Harmel- II -Berichtes könnten manche Probleme innerhalb Europas und zwischen Europa und den USA vermieden werden, mit denen wir uns heute auseinandersetzen müssen.
Bei einer neuen Weltordnung sollte es nicht um Rivalität um den Posten Nummer eins gehen. Es ist die europäische Aufgabe, Alternativen zum Rivalitätsdenken zu formulieren – und gleichzeitig den USA neue, noch engere Formen der Kooperation mit Europa vorzuschlagen. Da bietet sich die Idee der Freihandelszone an, aber auch ein anderer partnerschaftlicher Umgang innerhalb der NATO , wie er sich schon in den letzten Jahren abgezeichnet hat. Wenn sich in den USA die Haltung zugunsten einer unipolaren Weltordnung durchsetzen sollte, dann haben wir ein Problem.
LINDNER
Danach sieht es nach Obamas Wiederwahl aber nicht aus, Herr Genscher. Ich habe mich darüber gefreut, weil ich auch die innenpolitischen Konzepte der Demokraten überzeugender finde als die der Republikaner. Bei uns, wo es eine medizinische Versorgung gibt, um die uns die Welt beneidet, lehne ich eine
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