Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
»Westens«, Herr Lindner. Wir sind Verwandte – die einen an der östlichen Atlantikküste, die anderen an der westlichen. Was das Interesse der USA an Asien angeht – auf den ersten Blick sieht es sicher nach einer Abwendung von Europa aus. Viel interessanter ist aber: Worin besteht das Interesse? Geht es um ein Partnerschaftsverhältnis mit China oder handelt es sich, wenn ich an die Tea-Party-Leute und manche Republikaner in den USA denke, in Wahrheit um Konfrontationsgedanken?
LINDNER
Die amerikanische und die chinesische Volkswirtschaft sind symbiotisch verbunden. Die Chinesen exportieren Waren in die USA , die USA importieren Kapital aus China. Marktzugang gegen Kreditvergabe. Das hat auf der einen Seite zu Wachstum geführt, auf der anderen Seite zu einer dramatischen Verschuldung beigetragen. Der wichtigste Gläubiger Washingtons sitzt jetzt in Peking. Der Historiker Niall Ferguson und der Ökonom Moritz Schularick haben dafür den Begriff »Chimerika« geprägt. Wer bei klarem Verstand ist, kann kein Interesse an einer Konfrontation haben.
GENSCHER
Auf einen klaren Verstand kann man sich leider nicht immer verlassen. Wir könnten auch auf den Beginn einer Auseinandersetzung über eine Vorherrschaft in Asien zusteuern. Oder auf einen neuen Kalten Krieg? Damit sind wir bei der zentralen Frage der postkommunistischen Welt: Die logische Schlussfolgerung auf den Fall der Mauer lautete, es entstehe eine multipolare Weltordnung. Aber George W. Bush und seine Gesinnungsfreunde strebten eine unipolare Weltordnung an – auf Washington fokussiert und von dort dominiert. Als das Ansehen der USA in der Welt durch solches Denken und Handeln auf einem Tiefpunkt anlangte, habe ich das zutiefst bedauert. Dieser Prestigeverlust der USA ist auch für uns nachteilig. Andererseits spricht man in Europa manchmal in einer Weise über die Vereinigten Staaten, die eine gewisse elitäre Arroganz erkennen lässt. Das ist nicht nur völlig unangebracht, sondern grundfalsch. Eines lehrt aber die Erfahrung aus der europäischen Geschichte: Jeder Dominanzanspruch erzeugt Gegenkräfte. Wer Konfrontation sucht, muss wissen, dass das automatisch auf der anderen Seite mobilisiert und damit kooperative Lösungen verhindert. Das ist die Erkenntnis aus den letzten Jahrhunderten und auch meine Erkenntnis aus meiner Zeit als Außenminister. Deshalb meine ich, dass Europa eine Zukunftswerkstatt im Blick auf die neue Weltordnung darstellt. Unser bisheriger Weg hat sich schließlich ausgezahlt – Zurückhaltung und Kooperation.
LINDNER
Bill Clinton hat in diesem Sinne einmal gesagt, dass die USA als Führungsmacht an einer gerechten Weltordnung mitbauen müssten, in der sie sich auch noch wohlfühlen könnten, wenn sie einmal nicht mehr Führungsmacht sind.
GENSCHER
Bush senior hat die Deutschen
partners in leadership
genannt. Das waren alles frühe Einsichten. Aber was ist daraus geworden? Welche Konsequenzen ziehen wir daraus, wenn das neue Interesse an Asien auf Rivalität gründet?
LINDNER
So denkt Obama aber nicht.
»Europa schweigt«
GENSCHER
So denkt Obama nicht – in der Tat. Ich will offen bekennen, dass ich seine Wiederwahl erhofft habe, und ich hoffe nun auf seine Durchsetzungskraft in den nächsten Jahren. Dabei geht es mir auch um das europäisch-amerikanische und um das deutsch-amerikanische Verhältnis. Es mag emotional klingen, aber in dem transatlantischen Verhältnis darf die Seele nicht verloren gehen. Deshalb spreche ich von der transatlantischen Verwandtschaft. Ich bin überzeugt, dass es Obama hilft, wenn wir Europäer betonen, dass eine neue Weltordnung auf Kooperation und dem Gedanken der Ebenbürtigkeit aufgebaut sein sollte. Auch die amerikanische Öffentlichkeit wird von der Meinungsbildung in Europa beeinflusst. Europa aber schweigt, bleibt stumm. Dabei müssten die Europäer mit den USA in einen Diskurs treten und Fragen stellen. Welche Ziele verfolgt ihr mit eurer Fixierung auf den Pazifik und insbesondere China? Heißt das, dass ihr euch wirtschaftlich und kulturell dorthin orientiert? Oder heißt das vielleicht, dass ihr künftig um die Chinesen herum Barrieren aufbauen wollt, aus denen eine Antistruktur wird, mit welcher ein neues Spannungselement in der Weltarchitektur entsteht?
Das ist es doch, was in Peking bereits befürchtet wird. Der Streit um die Inselgruppe im Ostchinesischen Meer im letzten Herbst schien der Auftakt dazu zu sein. Wenn argumentiert wird, China wolle nicht nur Teil
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