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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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der neuen Weltordnung sein, sondern über diese auch mitreden können, antworte ich: Das ist doch legitim!
    LINDNER
    Absolut. Es ist auch richtig, dass Deutschland seine Beziehungen zu China weiter vertieft. Nur eben in der Balance zu unseren traditionellen Partnern. Ich erkenne in Peking im übrigen kein imperiales Streben – trotz des starken Engagements in Afrika und trotz der steigenden Rüstungsausgaben. Das passt nicht zur chinesischen Tradition – statt sich für Kreuzzüge auszurüsten, hat das klassische China eine Mauer gebaut. Heute sind zudem die inneren Probleme, mit denen China noch Jahrzehnte beschäftigt sein wird, zu groß. Da sind die enormen Disparitäten zwischen den entwickelten Regionen und dem Land; die Spannungen zwischen den Superreichen, der kleinen Mittelschicht und der Mehrheitsbevölkerung; die ökologischen Probleme des rasanten Wirtschaftswachstums; die grassierende Korruption, gegen die die Menschen öffentlich protestieren; die demographischen Folgen der Ein-Kind-Politik. Nicht zuletzt gibt es auch ungelöste Fragen des inneren Zusammenhalts Chinas. In dieser Frage – territorial, ich denke an Tibet, und ideell – sind chinesische Gesprächspartner sehr sensibel.
    Der Konflikt um diese Insel, den Sie erwähnt haben, hat ja in China Demonstrationen ausgelöst, die man nur nationalistisch nennen kann. Die kommunistische Ideologie stiftet offensichtlich keine verbindende Identität mehr. Für mich ist mehr oder weniger offen, was an deren Stelle tritt. Das Versprechen von wachsendem Wohlstand? Nationalismus? Die Kommunistische Partei scheint selbst noch auf der Suche zu sein. Auf lange Sicht also werden die Vereinigten Staaten weiterhin politisch, ökonomisch, militärisch und kulturell die stärkste Macht bleiben. Dennoch spielt China in der neuen Weltordnung eine entscheidende Rolle. Man muss China einbeziehen.
    GENSCHER
    China hat frühzeitig ein großes Verständnis gezeigt für den Willen der Deutschen zur friedlichen Wiedervereinigung in einem Staat. In Peking sah man darin eine Parallele zu dem eigenen Wunsch nach einer Vereinigung mit Taiwan. Und nicht zu vergessen: China erkannte frühzeitig die Bedeutung der europäischen Gemeinschaft. Für Peking war das weniger bedeutsam in seinen Auswirkungen auf das europäisch-amerikanische Verhältnis. Da mag sich inzwischen eine leichte Veränderung vollzogen haben. Für Peking war damals, beginnend in den sechziger Jahren, die europäische Vereinigung wichtig für das Ost-West-Verhältnis in Europa.
    LINDNER
    Mit meinem Hinweis auf Einbeziehung meine ich, dass man China ermuntern muss, auf der Weltbühne eine aktivere Rolle zu spielen. Die Chinesen sollten mehr Mitverantwortung übernehmen. Beispielsweise wird es keine Fortschritte in den Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea ohne die Chinesen geben. Bislang wollen sie ja gerade nicht überall mitreden, sondern eigene Interessen verfolgen. Ich glaube, dass überdies noch sehr viel an Schaden zu beseitigen ist wegen der umstrittenen Entscheidung, im Irak zu intervenieren. Das hat zu einem großen Vertrauensverlust geführt – so ist es mir jedenfalls in China in Gesprächen immer wieder begegnet.
    GENSCHER
    Haben Sie Gesprächspartner in China?
    LINDNER
    Die Kommunistische Partei lädt mich regelmäßig ein, ja. Ich habe darüber einige persönliche Verbindungen geknüpft, die ich pflege. In diesem Jahr habe ich beispielsweise eine Delegation von liberalen Bundes- und Landtagsabgeordneten geführt, wir haben Peking, die Provinz Anhui und Shanghai besucht. Mich hat bei meinem ersten Besuch vor einigen Jahren erstaunt, wie offen man mit den chinesischen Offiziellen bis hinauf zu Vizeministern über Probleme reden kann – das widersprach meinen Erwartungen. Dieses Jahr habe ich den Werksleiter eines deutschen Unternehmens getroffen, der zuvor schon für neue Anlagen in den USA und in Russland verantwortlich war. Der sagte, in den USA baut er nach Möglichkeit nie wieder, in Russland nur, wenn es sein muss, aber immer wieder in China, weil die Kooperation mit den Behörden reibungslos sei. Dennoch, mich verwundert die von manchen Spitzen der deutschen Wirtschaft heimlich geäußerte Sympathie für das chinesische Wirtschaftssystem – trotz der Öffnungspolitik bleibt es ein autoritärer Staatskapitalismus.
    In dauerhafter Erinnerung wird mir von meinem letzten Chinabesuch ein im wahrsten Sinne des Wortes erhabener Moment bleiben: die Einladung eines hochqualifizierten,

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