Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
der Golf-Kooperationsrat, in Lateinamerika der Zusammenschluss Mercosur etc. Das heißt, die Regionalisierung der Welt wird fortschreiten, damit im großen Konzert die mittleren und kleineren Staaten auch ihrer Auffassung Geltung verschaffen können. Europa ist politisch und organisatorisch am weitesten entwickelt, keine andere Region ist derart integriert wie die EU . Insofern betrachte ich ein Paar, bestehend aus den USA und Europa, auch als Repräsentanten dieser Strukturelemente der neuen Weltordnung – das eröffnet für die Partner auf beiden Seiten des Atlantiks eine gemeinsame Gestaltungsverantwortung und auch Chancen.
Gemeinsam kann man dann die Kraft finden, Probleme anzufassen, die kompliziert sind. Ich meine damit insbesondere den Nahost-Konflikt. Wir werden erleben, dass die neuen Regierungen in den arabischen Staaten nach der Welle erfolgreicher Revolutionen möglicherweise die Rechte der Palästinenser energischer einfordern, als das vorherige Staatschefs machten, die ihre Autoritäten aus der Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten bezogen hatten. Schauen Sie nur nach Ägypten, was dort gerade passiert. Gerade die Entwicklung im Nahen Osten, die noch instabilen Regierungen, der Freiheitsdrang der jungen Generationen – all das verlangt ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen den Europäern und den Amerikanern.
»Ich habe große Hoffnungen auf Mubarak gesetzt«
LINDNER
Das Stichwort Ägypten muss ich gleich aufgreifen, Herr Genscher. Sie kannten Mubarak lange und persönlich?
GENSCHER
Ja, ich habe ihn kennengelernt, als er noch Vizepräsident war. Der damalige Präsident Sadat hatte mich gebeten, Mubarak im Westen einzuführen. Es wurde ein gutes menschliches Verhältnis. Ich will auch bekennen, dass ich große Hoffnungen für Modernisierung, Öffnung und Demokratisierung in Mubarak gesetzt habe. Wissen Sie, im Austausch mit autoritären Staaten war immer mein erster Gedanke: Wie kann man Krieg verhindern? Und der zweite war: Was kann ich von außen tun, um unsere Grundwerte und die Menschenrechte zu verwirklichen? Am Ende haben wir alle Mubarak als einen Mann erlebt, der die Lage in seinem Land nicht mehr richtig einschätzen konnte. Das Volk hat seine Stimme erhoben. Den Ruf nach Freiheit darf niemand überhören. Inzwischen wird erkennbar, dass die Revolution von zwei höchst unterschiedlichen Zielen bestimmt wurde. Man war sich einig, die Zeit der alten statischen Diktaturen war vorüber. Aber war und ist unterschiedlicher Meinung, was an ihre Stelle treten soll. Die einen wollen offene Gesellschaften, die anderen sehen die Zukunft in islamistisch bestimmten Gesellschaften.
LINDNER
Wie gehen wir als Europäer mit der Entwicklung in Nordafrika am besten um?
GENSCHER
Zunächst einmal muss Europa sich überhaupt mit den neuen Bewegungen befassen und sie ernst nehmen. Wir können nicht entscheiden, wer in Ägypten regiert oder in Libyen. Das muss dort geschehen. Wir können von außen das Demokratische nur fordern und fördern, verordnen können wir es nicht. Wenn die Verhältnisse erneut undemokratisch werden, müssen wir dem alten Grundsatz des großen Liberalen Karl Georg Pfleiderer Rechnung tragen: »Beziehungen hat man. Ob sie gut sind oder schlecht, ist eine andere Sache. Keine Beziehungen zu haben, das ist Verzicht auf Außenpolitik.« Also muss man mit den neuen Regierungen umgehen – und die Europäer sollten das gemeinsam tun und eine aktive Rolle übernehmen. Aktiver noch als bisher. Wir haben beispielsweise einmal eine deutsch-französische Erklärung zum Nahost-Konflikt entworfen – François Poncet und ich, 1974 war das. Klare Positionen zu einzelnen Streitpunkten, an denen sich im Zweifel auch die Geister scheiden! Das war damals in Washington nicht gern gesehen – gar nicht aus inhaltlichen Bedenken heraus, sondern weil man es dort unzulässig fand, dass wir überhaupt zu dieser Frage Stellung bezogen. Den Nahen Osten hielten die Vereinigten Staaten für ihre strategische Spielwiese. Die Belebung des europäisch-arabischen Dialogs, eine Kooperationsvereinbarung mit dem Golf-Kooperationsrat – na, was denken Sie, wie das auch in Washington zur Kenntnis genommen wurde! Aber es war wichtig! So stelle ich mir das auch heute vor. Und dann würden wir als Europäer international auch ernster genommen werden.
LINDNER
Ich halte das für die große Herausforderung der europäischen Nachbarschaftspolitik, die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen
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